22 June 2010
Friede den Hütten. Veranstaltung Freitag, 25.06.2010
http://basta-wuppertal.de/2010/06/friede-den-huetten/
Friede den Hütten. Veranstaltung Freitag, 25.06.2010
„Die an der Macht sind blind für unser Leid. Ich fordere unsere politischen Führer dazu auf, mindestens eine Woche bei uns in den Hütten zu verbringen. Sie müssen den Schlamm spüren. Sie müssen sechs Toiletten mit 6.000 Leuten teilen. .Sie müssen die Ratten verjagen und die Kinder davon abhalten, die Kerzen umzustossen. Sie müssen für die Kranken sorgen, wenn es riesige Schlangen vor dem Wasserhahn gibt. Sie müssen zusehen, wenn wir unsere Kinder beerdigen, die in einem der Feuer umgekommen sind, die an Durchfall gestorben sind oder durch AIDS.“ (S’bu Zikode)
„THIEFA“ – das ist in Südafrika bei Akteuren der sozialen Bewegungen die aktuelle Schreibweise jener Organisation, die alle vier Jahre die Fussball-Weltmeisterschaft ausrichtet.
„THIEFA“ okkupiert, regelementiert, schreibt vor, verbietet, lässt ggf. umsiedeln und sichert eigenen Partnern die Geschäfte an den Orten, die sie der Ausrichtung der grössten Sportveranstaltung der Welt für würdig befindet. Das diktatorische Gebaren des Weltverbands wird dabei von vielen rhetorischen Blasen zu den Entwicklungspotentialen und einem vorgeblichem Gewinn an Arbeitsplätzen und Infrastruktur für die jeweiligen Ausrichterländer vernebelt.
Das absolute Nichts
Vielen bleibt nach der WM buchstäblich nichts.
Was davon nach einer FIFA-WM übrigbleibt, kann vier Jahre danach in Deutschland begutachtet werden. Mit viel Glück bleiben von den immensen Investitionen einige elitäre Verkehrsverbindungen und Massenspielstätten übrig, die im Idealfall ausgelastete Spielstätten von Proficlubs sind, genausogut aber auch ungenutzt bleiben können, wie z.B. in Leipzig. Die Kosten dieser Infrastrukturmassnahmen im Vorfeld einer Weltmeisterschaft trägt natürlich nicht die FIFA, sondern jeweils das ausrichtende Land. Welche Konsequenzen dies für ein Land haben kann, ist derzeit in Portugal zu besichtigen, dass für die aus dem selben üblen Holz geschnitzte FIFA-Tochter UEFA 2004 die Kontinentalmeisterschaft ausrichtete. Ein Gutteil des portugisischen Defizits, mit dem die aktuellen, unsozialen Sparmassnahmen der Regierung begründet werden, geht noch immer auf den Bau von unsinnigen Stadien und teuren Fernverbindungen zurück.
Treffen hohe Kosten und direkte Folgen eines solchen kommerziellen Grossereignisses in Europa jedoch auf noch einigermassen stabile Verhältnisse, so bedeutet das vierwöchige „FIFA-Notstandsregime“ für ein Land wie Südafrika unmittelbare Not, Vertreibung aus den eigenen Hütten und Häusern und Verlust der Lebensgrundlagen für tausende Menschen. Betroffen sind dabei, wie überall, immer die Ärmsten. Oft trifft es Immigranten, Alte und Wehrlose am Übelsten.
Die Lebensumstände armer Südafrikaner_innen sind bereits im „Normalfall“ skandalös und für Europäer kaum nachzuvollziehen. Doch das absolute Nichts, dass dem dem Strassenverkäufer bleibt, der infolge des FIFA-Regiments nicht mehr auf der Strasse verkaufen darf, oder das die Hüttenbewohner umgibt, die das Pech hatten, dass ihre Siedlung abgerissen wurde, weil sie an einer Touristenroute den Ausblick der WM-Gäste hätte stören können, ist grausam und bleibt für uns unvorstellbar.
Verklärtes Bild
Die Revolution ist ausgeblieben, viele fühlen sich vom ANC verraten.
Sich zu wehren ist gefährlich. Die Repression in Südafrika ist enorm, und schreckt nicht vor brutaler Gewalt und Totschlag zurück. Wie die ANC-Regierung – die während der Fussballweltmeisterschaft ein allgemeines Demonstrationsverbot erlassen hat – auf berechtigte Proteste reagiert, haben die Vorfälle rund um die streikenden Ordner in der ersten Fussballwoche gezeigt, als Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die um ihren Lohn betrogenen Menschen vorgingen. Dass man von diesen Vorgängen in Deutschland überhaupt erfuhr, war einer der ganz wenigen positiven Aspekte des FIFA-Events in Südafrika und ist eventuell auch nur der Tatsache geschuldet, dass der Streik der Ordner am deutschen Spielort in Durban seinen Ausgang nahm.
Die auch ausserhalb einer WM stattfindenden Aktionen gegen die Bewohner_innen der Hüttendörfer und Townships und die tägliche Repression durch Polizei und private Sicherheitskräfte, die die Profite der durchprivatisierten südafrikanischen Wirtschaft sichern, findet in deutschen Medien selten Erwähnung. Das hat verschiedene Gründe. Da ist zum einen die weite Entfernung zum Geschehen und das allgemeine Desinteresse, das die bundesdeutsche Gesellschaft dem Kontinent Afrika entgegenbringt. Da ist natürlich ein grundsätzliches Einverständnis mit der neoliberalen Politik der südafrikanischen Regierung, da ist zum anderen aber auch ein teilweise recht naives Bild des ANC (African National Congress) und seiner Rolle nach dem Ende der Apartheit – oft gerade auch bei den “linken” Medien, die Unrecht ansonsten gerne anprangern.
In der Linken wird noch immer allzugerne am Bild eines erfolgreichen Befreiungskampfes festgehalten und die südafrikanische Realität mit einem vorgeblichen Erbe Nelson Mandelas verklärt. Eine gründlich falsch verstandene Solidarität mit ehemaligen Kampfgefährten führt deshalb häufig dazu, dass die Realität ausgeblendet bleibt, gerade auch in linken Strukturen. Denn wahr ist, dass die Rassentrennung aufgehoben wurde – es ist aber leider auch wahr, dass sich an den Lebensbedingungen armer Menschen in der südafrikanischen Gesellschaft wenig bis nichts geändert hat.
“Recht auf Stadt in Südafrika
Der neoliberale Umbau Südafrikas trifft auf Widerstand
Im Gegenteil. Die Koalitionsregierung um den ANC hat sich besonders intensiv um eine neoliberale Agenda für den profitorientierten Umbau der südafrikanischen Wirtschaft bemüht, und diesen auch immer wieder gegen sich regenden Widerstand an der Basis durchgesetzt. Heute leben in Südafrika doppelt soviel Menschen in behelfsmässigen Communities als am Ende der Apartheit: nach staatlichen Angaben leben über zehn Mio. Südafrikaner_innen in informellen Siedlungen: also in Hinterhofhütten, in überfüllten Wohnheimen, in primitiven Notaufnahmelagern oder in verwahrlosten Mietskasernen. Oft wohnen sie in Hütten aus Blech, Abfall oder Holzresten – ohne Strom, Wasser und Toilette. Der Kampf um den privatisierten Stromanschluss und um das teilweise privatisierte Wasser gehört in den Townships zu den täglichen Aufgaben des Überlebens und muss teilweise militant geführt werden.
Die unter dem Apartheitsregime durchgeführte Vertreibung der farbigen Bevölkerung aus den Innenstädten der Weissen und ihre Umsiedlung in Elendsquartiere am Rand der Cities hat sich unter der ANC-Regierung weiter verschärft. Grundlage der Vertreibung ist nicht mehr Hautfarbe oder Herkunft, sondern soziale Selektion. Das Ergebnis bleibt gleich: die Betroffenen sind farbige Südafrikaner_innen und viele Flüchtlinge aus anderen Ländern des Kontinents. Sie leben am Rande der Städte, streng getrennt von den besseren Wohngebieten.
Unterhalb unserer Aufmerksamkeitsschwelle hat sich In Südafrika dagegen längst WIderstand gebildet, der in Auseinandersetzungen mit den meist vom ANC gestellen örtlichen Behörden und den enthemmt agierenden Versorgungskonzernen ein „Recht auf Stadt“ durchsetzen will. Und damit eigentlich nur die Einlösung von Versprechen fordert, die den armen und entrechteten Südafrikaner_innen nach dem „Sieg“ dereinst von „ihrer“ Befreiungsbewegung gemacht wurden: Recht auf Land, Recht auf Häuser, Recht auf die notwendige Versorgung mit Energie und Wasser, Recht auf ein eigenes Auskommen und auf ein einigermassen würdiges Leben in einem der reichsten Länder der Welt.
ABAHLALI baseMjondolo
Repression und Verfolgung für erfolgreichen Widerstand
Eine der grössten sozialen Bewegungen, die in Südafrika für das „Recht auf Stadt für alle“ kämpfen, ist ABAHLALI baseMjondolo (AbM) aus Durban – dem WM-Spielort der deutschen Nationalmannschaft.
Ihr Ausgangspunkt war 2005 die Siedlung „Kennedy Road“ in Durban, mittlerweile arbeitet ABAHLALI in vielen grösseren Städten und Siedlungen Südafrikas. Nach anfänglichen ergebnislosen Versuchen, sich in die vorgeblich demokratischen Strukturen einzubringen und durch eine Kooperation mit den ANC-Bürgermeistern der Stadt Verbesserungen zu erreichen, wurde die „Bewegung der Hüttenbewohner“ zunehmend zur direkten Opposition zum ANC. Heute ist ABAHLALI baseMjondolo (AbM) eine von der ANC-Regierung völlig unabhängige Basisorganisation bei deren Versammlungen jeder Mensch das Recht hat zu reden.
Die Entwicklung von der Basisinitiative zur radikalen Opposition verlief schleichend – immer entlang der gemachten Erfahrungen im Umgang mit den Behörden und Konzernen. Und sie war für die Aktivisten und Aktivistinnen gefährlich.
Je entschiedener nach jeder weiteren enttäuschten Hoffnung die Forderungen der Hüttenbewohner vertreten wurden, desto mehr zog alleine die schlichte Existenz von AbM den Hass der korrumpierten ANC-Funktionäre und der sie korrumpierenden Profiteure von Landschiebereien auf sich. Die Repression steigerte sich bis zur Kriminalisierung der Organisation der Hüttenbewohner und bis zu Morddrohungen an die Adresse der AbM-Aktivisten und Aktivistinnen, als ABAHLALI einen der grössten juristischen Erfolge erreichte, den eine soziale Bewegung bislang erzielen konnte.
Fast zeitgleich mit dem Erfolg einer AbM-Klage gegen ein geplantes „Slumgesetz“ der Regierung Zuma, das in vielen Aspekten an alte Apartheidgesetze erinnerte, und mit denen die von Nelson Mandela legalisierten informellen Siedlungen teilweise wieder kriminalisiert worden wären, wurden die Strukturen von AbM von einer brutalen Repressionswelle überrollt. Das Urteil des Verfassungsgerichtes, das die Regierung zwang, das geplante Gesetz zurückzunehmen, wurde von einem Überfall durch Schlägertrupps auf die Siedlung „Kennedy Road“ überschattet, bei dem u.A. das Sozialzentrum der Siedlung, in der ABAHLALI entstanden war, und die Wohnhäuser von bekannten Aktivisten und Aktivistinnen verwüstet wurden. Als sich die Bewohner der Siedlung gegen den brutalen Überfall verteidigten, starben im Verlauf der Kämpfe zwei Menschen.
Die Schläger kamen in Begleitung der Polizei zurück. Diese nahm 13 bekannte Mitglieder von ABAHLALI unter Mordanklage fest. Viele andere, mit ABAHLALI verbundene Personen, mussten fliehen, nachdem sie Morddrohungen erhalten hatten und lokale Vertreter des ANC übernahmen die Kontrolle der Siedlung. Bischöfe und Menschenrechtsgruppen solidarisierten sich in der Folge mit den Hüttenbewohnern. Sie sprachen von einer Gefahr für die junge Demokratie Südafrikas, wenn der alles beherrschende ANC seine politischen Gegner mit solchen Mittel ausschaltet. Auch Amnesty International drückte Besorgnis aus und Persönlichkeiten wie Noam Chomsky, Naomi Klein und Slavoj Zizek unterzeichneten eine Petition zugunsten von ABAHLALI. Eine Untersuchung der Vorfälle hat dennoch bis heute nicht stattgefunden, gegen die Verhafteten wurde auch noch immer keine Anklage erhoben. Gleichwohl befinden sich fünf von ihnen noch immer in Haft.
Friede den Hütten
Unsere Veranstaltung am Freitag
Auf Initiative des International Network of Urban Research and Action“ (INURA) aus Zürich, befinden sich während der „THIEFA-WM“ zwei führende Akteure von ABAHLALI auf Europatour, um über den südafrikanischen Kampf für ein „Recht auf Stadt“ zu berichten.
Zodwa Nsibande (rechts) aus der Siedlung „Kennedy Road“ ist eine gewählte Vertreterin von ABAHLALI, die nicht nur über die wahren Zustände in Südafrika aufklären will. Ebenso wichtig ist ihr die internationale Solidarität mit der Selbstorganisation der Armen und Ausgegrenzten in Südafrika und anderswo. Der unabhängige Aktivist Richard Pithouse arbeitet an der Rhodes University als Politikwissenschaftler. In dieser Funktion kritisiert Richard Pithouse den ANC sowie die Privatisierungspolitik der Regierung gegen die Masse der südafrikanischen Bevölkerung. Als undogmatischer Linker versucht er, Lehren aus den südafrikanischen Erfahrungen zu ziehen und plädiert für eine autonome Organisation der Bewegungen.
basta! hat die Gelegenheit ergriffen, am Freitag, den 25. Juni mit Zodwa Nsibande und Richard Pithouse eine spontane Veranstaltung durchzuführen, bei der neben Informationen aus erster Hand zum Gastgeberland der WM auch eine Justierung des Begriffs „Recht auf Stadt“ in internationalem Kontext erfolgen soll. Wie sieht ein Kampf für das „Recht auf Stadt“ aus, wenn er unter Bedingungen wie in Südafrika geführt wird? Was ist das Gemeinsame an den Forderungen nach einem „Recht auf Stadt“ in Europa oder Nordamerika und dem Trikont? Und aus welchen Erfahrungen des Kampfes kann vielleicht gegenseitig etwas gelernt werden?
Die Veranstaltung wird gemeinsam mit der „vierten Woche“ (Quarta Settimana) durchgeführt, die an diesem Freitag turnusgemäss wieder auf dem Schusterplatz, (auf dem Ölberg in Wuppertal-Elberfeld), stattfindet. Bei der „vierten Woche“ wird jeweils zum Ende eines regelmässig geldknappen Monats gemeinsam mit Anwohnern und anderen in der Öffentlichkeit gekocht und kostenlos gegessen. Ganz bewusst verfolgt die „vierte Woche“ dabei ein zu den ausschliesslich wohltätigen „Tafeln“ konträres Konzept.
Über eine Teilnahme möglichst vieler interessierter Menschen würden wir uns sehr freuen. Mit Sicherheit sprechen wir damit auch für Zodwa Nsibande und Richard Pithouse, bei denen wir uns bereits jetzt für die Mühen bedanken, die sie für ihren Besuch in Europa auf sich genommen haben. (Zodwa Nsibande beispielsweise hat trotz aller Unterstützung durch die Botschaft und von Misereor bis zum allerletzten Moment um ihr Visum für die Reise bangen müssen…)
„Friede den Hütten“ – Veranstaltung am Freitag, den 25.06.2010 mit Zodwa Nsibande und Richard Pithouse – ABAHLALI baseMjondolo (AbM), Durban, (SA)
Der Plan für den Tag:
ca. 14.30 Uhr: Abholung von Zodwa Nsibande und Richard Pithouse mit improvisierter „Welcome-Session“ am Kasinokreisel in Wuppertals „Bankenviertel“ in Elberfeld.
ca. 16.00 Uhr: „Vierte Woche“ (Quarta Settimana), Schusterplatz in Wuppertal-Elberfeld auf dem Ölberg – gemeinsames Kochen und kostenloses Essen mit Anwohnern und unseren Gästen.
ca. 18.00 – 18.30 Uhr: Informations- und Diskussionsveranstaltung mit Zodwa Nsibande und Richard Pithouse auf dem Schusterplatz. Eventuell wird das Gespräch durch eine Videovorführung ergänzt. Bei schlechtem Wetter wird eine überdachte Alternative vorhanden sein, die wir gemeinsam vom Treffpunkt Schusterplatz aus ansteuern würden. Kurzfristige Information zum möglichen Ausweichort auch über Twitter: twitter.com/bastawuppertal