28 October 2010
Wir verlangen unsere Würde und unsere Stimmen zurück
http://akkrise.wordpress.com/2010/10/21/wir-verlangen-unsere-wurde-und-unsere-stimmen-zuruck/
http://www.pambazuka.org/en/category/features/58979, , Interview von Sokari Ekine mit Mnikelo Ndabankulu, Zodwa Nsibande und David Ntseng, 24.9.2009
Abahlali baseMjondolo: Wir verlangen unsere Würde und unsere Stimmen zurück
Sokari Ekine traf unlängst zwei Mitglieder der Bewegung von BarackenbewohnerInnen in Südafrika, Abahlali baseMjondolo, Mnikelo Ndabankulu, ein Gründungsmitglied und Sprecher, und Zodwa Nsibande, die Generalsekretärin der Abahlali-Jugendliga. An diesem Interview beteiligte sich David Ntseng vom Church Land Programme, einer NGO in der Provinz KwaZulu Natal, der zu Landrechten arbeitet. Sie diskutieren eine Reihe von Punkten von der Schaffung von Bewegungen und deren Erfolgen und dem ‚Slumgesetz’ bis zur Entscheidung, sich nicht an nationalen Wahlen zu beteiligen und die Xenophobie in Südafrika zu bekämpfen.
2005 begannen BarackenbewohnerInnen in Durban, die Bewegung Abahlali baseMjondolo (Menschen, die in Baracken leben) aufzubauen, die in nur vier Jahren die größte Organisation der militanten Armen wurde, nicht nur in Südafrika, sondern weltweit.
Die breitgefächerten Ziele von Abahlali sind, illegale Räumungen und die Zerstörung von Baracken zu verhindern; die Forderung nach verbesserten Dienstleistungen wie sauberes Wasser, Elektrizität und eine ordentliche Gesundheitsversorgung; die Bekämpfung der Anti-Armengesetzgebung wie das ‚Slumgesetz’ von 2008; Schulungen und Ausbildung, um die Qualifikation seiner Mitglieder zu verbesern; und den Aufbau von Allianzen mit anderen Bewegungen für Landrechte und Arme in Südafrika und quer über den Globus.
Pambazuka News (PN): Danke euch beiden, dass ihr heute gekommen seid und euch mit mir trefft. Mnikelo und Zodwa, könnt ihr mir ein wenig über euren Hintergrund erzählen, und wie ihr dazu kamt, in der Siedlung zu leben?
Zodwa Nsibande (Zodwa): Ich kam in die Siedlung im Jahr 2003, weil ich mein Studium abgeschlossen hatte, ich musste nach Durban und meine Mutter lebte bereits in der informellen Siedlung, also musste ich zu ihr ziehen.
Mnikelo Ndabankulu (Mnikelo): Ich kam in diese Stadt, als ich 18 wurde, das ist in Südafrika die übliche Zeit, wo mensch von der Kindheit in das Erwachsensein wechselt, du musst dich um Arbeit umsehen, um deine Familie ernähren zu können oder um eine zu gründen. Das bringt dich von ländlichen in städtische Gebiete, weil es hier mehr Arbeitsmöglichkeiten als am Land gibt.
PN: Das war es also, warum ihr nach Kennedy Road gekommen seid?
Mnikelo: Zur Zeit lebe ich in einer anderen Gegend, in der informellen Siedlung Foreman Road.
PN: Mnikelo, du bist eines der Gründungsmitglieder von Abahlali. So wie ich es verstehe, wurde die Entscheidung, die Bewegung zu gründen, im Oktober 2005 getroffen, nach der Demo auf Quarry Road. Was hattest du damals für Vorstellungen, und was waren während dieser Anfangsmonate deine Ziele?
Mnikelo: Also tatsächlich gab es keine offizielle Konferenz oder ein Treffen, das einberufen worden wäre und wo die Leute gesagt hätten, wir müssen eine Organisation gründen. Es lief nicht so ab, wie NGOs gegründet werden, wo Leute sich treffen oder Kurse absolvieren und entscheiden, eine NGO zu gründen. Die Organisation wurde gegründet wegen der Frustration und weil die BarackenbewohnerInnen die Geduld verloren wegen der nicht erfüllten Versprechungen, vor allem wegen der Versprechungen bezüglich des zur Verfügung Stellens von Land und Wohnraum an die Leute, die in informellen Siedlungen leben.
PN: Was genau geschah während der Demonstration auf der Quarry Road, was spornte die Idee dieser Bewegung an?
Mnikelo: Tatsächlich wurde die Organisation noch vor dieser Demo gegründet, der erste Protestmarsch, den die Organisation veranstaltete, fand statt, ehe sie offiziell unter dem Organisationsnamen auftrat. Es geschah, als der Zweigstelle (die eine der ersten Zweigstellen bei der Schaffung der Organisation ist) ein bestimmtes Stück Land versprochen wurde, in der Nähe von dort, wo wir leben. Es begann, als du einige Caterpillars sehen konntest, die ihr Land einebneten, da sagten die Leute: ‚Oh Gott, endlich, seit 1994 wurden uns Wohnhäuser versprochen, hier endlich beginnt der Hausbau.’ Dann begannen die Leute mit dem Caterpillarfahrer zu sprechen, sie fragten ihn: ‚Was geschieht hier tatsächlich?’ Der Caterpillarfahrer sagte ‚nein’, er arbeitet für eine private Firma, die eine große Industrieanlage baut, gleich neben der informellen Siedlung. Die Leute waren so frustriert und sagten: ‚Nein, nein, nein, das könnt ihr nicht machen, das ist unser Land, es ist uns vom Staat versprochen worden, ihr könnt nicht einfach daherkommen und mit Land ein Geschäft machen, das für uns als Wohnraum reserviert wurde!’ Die Leute begannen, einander zu mobilisieren, sie blockierten die Straße mit brennenden Reifen, und an die 40 Leute wurden verhaftet. Sie erschienen vor Gericht und wurden freigelassen; jetzt ist niemand mehr in Haft. Dann begannen wir, mehr communities zu mobilisieren, weil wir herausfanden, dass es eine Menge Gemeinsamkeiten zwischen den Siedlungen gibt, wir begannen, organisiert die Verfassung zu lesen und dem Protokoll zu folgen, was du zu tun hast, um einen Protest zu veranstalten, und bewegte sich die Bewegung jeden Tag voran.
PN: Was war eure Vision, wie dachtet ihr zu dieser Zeit, was war das langfristige Ziel, das ihr im Auge hattet? In Bezug auf eure Forderungen, aber auch in Bezug auf die Bewegung selbst?
Mnikelo: Was uns vereint ist die Nichterfüllung der Versprechen, die uns gemacht wurden. In naher Zukunft müssen die BarackenbewohnerInnen respektiert werden, ihre Würde muss respektiert werden, sie müssen wegen der Dinge, die sie betreffen, konsultiert werden. Sprecht mit uns und nicht über uns. Wir wollen nicht, dass die Regierung im Parlament sitzt und entscheidet, was sie für die Leute tun wird. Wir wollen selbst von Beginn des Prozesses an einbezogen werden, denn wenn die Leute nie einbezogen werden, dann wissen sie nicht, was die Leute für sich für gut befinden. Denn die Leute sind nicht für eine Partei, sie sind Menschen, sie haben ihre eigenen Ideen, deshalb brauchen sie einen Input bei dem, was sie betrifft.
PN: Abahlali wurde von seinem gewählten Präsident S’bu Zikode als eine lebendige Bewegung beschrieben, eine Art von ‘lebendiger Politik’. Was versteht ihr darunter – lebendige Bewegung, lebendige Politik?
Zodwa: Der Grund, warum es als ‘lebendige Politik’ beschrieben wurde, ist, weil diese Politik, für die wir stehen, von den Leuten gemacht wird, durch die Leute. Das ist auch die Politik, die von jeder Oma verstanden werden kann, ohne dass sie erst Politik lernen muss. Eine Politik, in der jedeR mitreden kann, deshalb der Begriff ‚lebendige Politik’.
PN: Zodwa, du bist Generalsekretär der Abahlali-Jugendliga. Wie kam es zur Entscheidung, innerhalb der Bewegung einen eigenen Zweig für die Jugend zu schaffen?
Zodwa: Wir wir sahen, ist die Bewegung angewachsen, und obwohl das der Fall ist, obwohl sie wächst, wachsen die GründerInnen altersmässig ebenfalls. Die Leute werden ärmer, also werden wir weiterhin anwachsen. Die Jungen müssen ausgebildet werden, denn wir glauben, dass dieser Kampf andauern wird.
PN: Was macht ihr mit der Jugendliga für eine Arbeit?
Zodwa: Üblicherweise ermutigen wir die Jugend, sich an den Entwicklungspunkten zu beteiligen, denn die meisten Jugendlichen denken, Entwicklungspunkte haben nichts mit ihnen zu tun, das ist etwas für die Alten. Wir ermutigen die Jugendlichen zu lernen; vor allem in den Siedlungen siehst du Jugendliche nicht lernen. Obwohl du in einer Siedlung lebst, musst du für dein eigenes Überleben sorgen.
PN: Als Frau und als Generalsekretärin der Jugendliga und als lebendiges Mitglied von Abahlali hast du verschiedene Rollen. Wie integrierst du diese drei Rollen ineinander? Und: Kannst du mir ein wenig mehr über die Teilnahme an und die Beiträge von Genossinnen in der Bewegung sagen?
Zodwa: Als eine Frau der Bewegung – ebenso als die jüngste Frau der Bewegung – respektieren wir die Ansichten von allen anderen. Weil ich die jüngste Frau in der Bewegung bin, aber an der Gründung teilgenommen habe, bin ich eine Hoffnung für andere Frauen: ‚Egal, wie alt oder jung du bist, du kannst immer am Durchsetzen von Verändungen teilnehmen’. Es ist nicht wichtig, ob du eine Frau bist oder ein Mann. Nicht nur Männer können Veränderungen durchsetzen, auch Frauen können das. Mit dieser afrikanischen Kultur glauben wir, dass nur Männer etwas verändern können, und dass der einzige Platz für Frauen der in der Küche ist – außerhalb der Küche hast du nichts verloren. Wir als Frauen müssen ein Beispiel für andere Frauen sein und ihnen die Chance geben, sich zu beteiligen.
PN: Eines der Probleme des heutigen Südafrika ist das von Gewalt gegen Frauen. Wie geht Abahlali als eine Bewegung, die für Gleichheit eintritt und alle respektiert, mit der Frage der Gewalt gegen Frauen um? Ist das etwas, das ihr innerhalb eurer communities ansprechen müsst? Ich spreche über häusliche Gewalt, Vergewaltigung, Belästigung und so weiter.
Zodwa: Südafrika hat eine hohe Rate an häuslicher Gewalt, aber wozu wir innerhalb der Siedlung ermutigen, ist die Schaffung von – von uns so genannten – BürgerInnen-Sicherheitsgemeinschaften1, die es schaffen, Sicherheit durchzusetzen. Denn für jemand innerhalb der Siedlung ist es einfacher, ein Verbrechen jemand anzuzeigen, den mensch kennt und dem mensch traut. Weiters gehen uns die Mitglieder der Sicherheitsgemeinschaften mit gutem Beispiel voran. Die Sicherheitsgemeinschaften arbeiten hand in hand mit der lokalen Polizei, damit die Verbrechen in der rechtmäßigen Art behandelt werden können.
PN: Unlängst hat Abahlali beschlossen, eine Allianz mit anderen Bewegungen für Landrechte in Südafrika zu schaffen. Könnt ihr uns ein wenig mehr darüber erzählen, warum ihr euch dazu entschlossen habt und wie das funktioniert?
Mnikelo: Während wir die Anliegen der BarackenbewohnerInnen angesprochen haben, haben wir herausgefunden, dass jedeR in ihrer/seiner eigenen Ecke demselben Problem gegenübersteht, also haben wir die Notwendigkeit gesehen, unseren Kampf zu vereinen. Wir fusionierten unseren Kampf mit dem Ländlichen Netzwerk2, das eine Organisation ist, die für Landrechte und die Rechte von FarmarbeiterInnen eintritt. Ebenso mit der Anti-Räumungs-Kampagne3 in Westkap, die dafür kämpft, dass Menschen nicht aus ihren Häusern geräumt werden. Und mit der Bewegung der Landlosen4, die für die Rechte der Landlosen eintritt. Das half uns – wenn beispielsweise Abahlali die Regierung vor Gericht brachte, hatten wir nur Reserven, um einen Bus zu organisieren, der uns zum Gericht brachte. Weil wir aber Verbündete in der LPM hatten, kamen die GenossInnen aus Solidarität ebenfalls zum Gericht. Die Medien, die Regierung und die Richter können sehen, dass es jemand juckt, und sie sehen, dass wir für die Rechte der Leute eintreten, indem wir die Gänge des Gerichts mit lebendigen Menschen füllen, die sich wehren.
PN: David, du bist vom Kirchlichen Landprogramm5, kannst du uns den Hintergrund erklären, vor dem eure Organisation gegründet wurde? Und auch, warum du beschlossen hast, mit der Organisation die Allianz mit anderen Bewegungen von Landlosen aufzubauen?
David Ntseng (David): Das kirchliche Landprogramm wurde 1997 von zwei wichtigen NGOs in Pietermaritzburg in KwaZulu Natal gegründet. Die eine war die Vereinigung für Ländliche Entwicklung6 und die andere die Pietermaritzburger Vereinigung für das Christliche Soziale Bewusstsein7, und die Gründe waren: Stellung beziehen zu Landfragen, Landkämpfen und wie die Rechte von communities auf Farmen gesichert werden können, vor allem auf Missionsfarmen, die der katholischen, lutheranischen und anderen missionarischen Kirchen gehören.
Später in diesem Jahr, nachdem wir viel am Sektor der Landreform gearbeitet hatten, als wir damit fortfuhren, uns anzuschauen, wie diese Rechte geschützt werden und in welchen Ausmaß, erkannten wir, dass sich nicht viel bewegt bezüglich der Verwirklichung des Traums, ein eigenes Haus zu haben, des Traums, eigenes Land zu haben, ohne die Unsicherheiten von gepachtetem Land. Nichts bewegte sich um diese Fragen, und so begannen wir als Organisation Fragen zu stellen: Wieso dauert das so lange?
Ein Teil der Antworten auf diese Fragen lautete, dass es nicht die Geschwindigkeit bei der Landreform war, sondern die Richtung, in die die Landreform geht. Die Richtung ist, dass sie der neoliberalen Agenda dienen soll. Damit eine Landreform stattfindet, braucht mensch die Bereitschaft der Farmer, Land zu verkaufen, oder die Bereitschaft der Kirche, Land zu verkaufen oder zu verschenken. Wenn es die nicht gibt, bewegt sich nichts.
Zweitens: Wenn mit Land gehandelt wird, braucht es einen überzeugenden Businessplan von communities, die Land möchten, um zu produzieren oder um Betriebe aufzubauen, wenn sie erstmal das Land haben. Das unterstreicht zwei Dinge: Zum einen möchten Leute Land, weil es Teil ihrer Geschichte ist, Leute möchten Land, weil es Teil der Wiederherstellung ihrer Würde ist, Leute möchten Land, Leute möchten Land, weil sie mit ihren Unternehmen weiterkommen möchten und kommerzielle Farmer oder kleine Farmer werden möchten. Aber das ist die Geschichte der Leute, das ist ihr Leben. Das ist das Ausmaß an Ungleichheit, soweit die Landreform betroffen ist.
Als wir darauf gekommen waren, sagten wir ok, das Kirchliche Landprogramm versteht sich selbst nicht nur als eine Organisation zu Landfragen – wir arbeiten mit den Leuten, wir arbeiten mit dem Land, und wir arbeiten mit der Kirche. Weil es so eine drastische Ungleichheit gibt, muss darüber gesprochen werden. Es muss überall angesprochen werden, wir machen Präsentationen oder wir treten mit Menschen in den Dialog.
Und 2005 wurde Abahlali gegründet, das heißt acht Jahre nach unserer Gründung als Organisation, und wir schafften es erst Anfang 2006, mit ihnen in Verbindung zu treten. Seither ist unsere Beziehung, wenn wir als Organisationen zusammen arbeiten, dass wir eine andere Art von Politik in unseren Beziehungen zu Volksorganisationen entwickeln müssen. Sie müssen darauf gründen, was sie für eine Beziehung haben möchten, sie sind die Bewegung, und nicht, wie wir als NGO es gerne hätten. Deshalb unterstützen wir sie auf vielerlei Weise mit Ressourcen und mit der Anwesenheit von Organisationspersonal. Aber dabei stellen wir sicher, dass das in einer Weise geschieht, die die Bewegung möchte und die sie fordert. Es gibt Orte, wo wir angefragt werden, um an einer Einigung um bestimmte Punkte teilzunehmen, mit denen die Bewegung konfrontiert ist.
PN: Obwohl ihr eine NGO seid, eine Organisation – wie denkt ihr über die historischen und aktuellen Verbindungen zwischen ländlichen Landrechten und die urbane BarackensiedlerInnenbewegung?
David: Es gibt sehr starke Verbindungen, eine beruht auf der Tatsache, dass Menschen in beiden Gegenden kein Raum gelassen wird, ihre Forderungen auszudrücken, und dass Menschen in beiden Gegenden entweder darüber vertreten oder über-vertreten werden, was der Staat glaubt, dass sie wollen, oder was NGOs meinen, dass sie wollen.
Wenn wir derart vertreten, dann ersticken wir ihre Stimmen und zusätzlich dazu, dass wir sie stumm machen, schlagen wir sie. Das geschieht in beiden Gegenden, in ländlichen und in städtischen. In beidne Fällen werden sie in einer Weise missachtet, dass sie unter Bedingungen leben müssen, die ihnen keinerlei Würde erlauben, sich durchzusetzen und ihrer Menschlichkeit zum Durchbruch zu verhelfen.
In beiden Fällen werden sie gezwungen, durch Entmenschlichung zu gehen, und als Organisation sehen wir die Notwendigkeit, teilzunehmen an der Politik in diesen beiden Kontexten. In ländlichen Gegenden sagen die Menschen, wir können es nicht zulassen, dass wir den Ungerechtigkeiten der Farmers ausgeliefert bleiben, aber auch denen der Regierung, die unsere Bedürfnisse ignoriert. In den städtischen Gegenden gibt Fälle, wo sogar Behördenvertreter demonstrieren und offen ihren Unwillen zum Ausdruck bringen, den Forderungen der Menschen, die innerhalb Abahlali baseMjondolo repräsentiert werden, Aufmerksamkeit zu schenken.
Das ist für als Organisation unmoralisch. Wir versuchen dann, die Aufmerksamkeit der Kirchenführer auf diese Tatsache zu lenken, dass wir nicht die Hände falten können, wenn Menschen in dieser Weise gefoltert werden, in einer sogenannten demokratischen Gesellschaft. Wo bleibt unser Bewußtsein? Was sagen wir über ihre Humanität? Was sagen wir über ihr Recht, ihre Positionen als BürgerInnen von Südafrika einzunehmen?
PN: Es gab einige Diskussionen unter AkademikerInnen und AktivistInnen über die Natur der Forderungen von Abahlali. Ob es sich um einfache Forderungen nach Dienstleistungen handelt? Ob eure Vision tatsächlich viel komplexer ist als bloss das, und viel breiter als bloss die Lieferung von Dienstleistungen? Zum Beispiel: Ihr seid wegen dem Slumbereinigungsgesetz8 vor Gericht gegangen, was viel tiefer geht als bloß über Dienstleistungen zu sprechen. Könnt ihr das ausführen?
Zodwa: Es geht nicht um Dienstleistungen, so wie die Medien das hinstellen, ist geht um den Weg, wie die community diejenigen, die an der Macht sind, daran erinnert, nämlich was sie den Menschen versprochen hat – dann tut das auch, wann werdet ihr das tun? Und dann sagen die Medien, es ist bloß ein Protest wegen Dienstleistungen. Es geht nicht um Dienstleistungen, es geht auch um die Menschenwürde der community. Es ist die community, die sagt: Ihr habt es versprochen, also gebt es uns zurück. Ihr habt uns zugehört, ihr seid uns gegenüber verantwortlich, ihr müsst uns nicht bloß Dienstleistungen zur Verfügung stellen, sondern menschlichen Selbstrespekt, Würde und Leben.
Macht.
PN: Warum ereifert ihr euch so sehr über das Slumbereinigungsgesetz?
Mnikelo: Weil dieses Gesetz eine dieser Apartheid-Ideen zurückbringt, die jeder/m in der Nation seiner Rechte beraubt. Beispielsweise hält die Verfassung Südafrikas fest, dass niemand ohne gerichtliche Anordnung aus seinem/ihren Haus geräumt werden darf. Aber dieses Gesetz spricht darüber, dass Menschen geräumt werden, es sagt aber nichts über die dafür notwendigen Kriterien, es zeigt nichts, das einem Protokoll folgen müsste.
Dieses Gesetz macht den Widerstand gegen Räumungen zu einem Verbrechen, und das kann in einer demokratischen Gesellschaft nicht so sein. Der Widerstand gegen Räumungen ist in Südafrika ein demokratisches Recht jeder/s BürgerIn, nein zu sagen zu etwas, das mensch nicht möchte. Dieses Gesetz sagt, wenn du Widerstand gegen eine Räumung leistest, kannst du mit 20.000 Rand Strafe belegt werden, oder 10 Jahre im Gefängnis verbringen. Das Gesetz wurde von einer Abteilung genehmigt, die nicht einmal die relevante Abteilung ist, denn es ist die Wohnungsabteilung; ihre Aufgabe ist die Schaffung von Wohnraum. Sie haben nicht die Macht, Landgesetze zu verabschieden, das ist die Abteilung für Landfragen und sogar die könnten das Gesetz nicht erlassen, wenn es kein Land in Hand der Verfassung (des Staates) ist, denn wir werden das nicht erlauben.
PN: Abahlali hat beschlossen, die Wahlen zu boykottieren, nicht zu wählen. Warum wurde diese Entscheidung getroffen und was hofft ihr damit zu erreichen?
Mnikelo: Wir stehen zu unserem Land, und wir respektieren die HeldInnen, die für die Befreiung Südafrikas gestorben sind, die jeder/m BürgerIn das Wahlrecht gaben. Alle waren froh, zu wählen, vor allem 1994, das war das erste Mal. Wir haben gewählt, in der großen Hoffnung, dass Südafrika sich zum Besseren verändern würde.
Die Regierung des Volkes sagte, dass sie erstens, zweitens, drittens und viertens für die BürgerInnen machen würde, wenn sie an die Macht käme. Nach 14 Jahren Ruhe haben wir niemals bekommen, was den Menschen von der Regierung versprochen worden ist, als sie an die Macht kam. Das hat uns frustriert, denn wir haben gewählt, weil wir gehofft haben, dass nach den Wahlen etwas geschehen würde. Als sie dann nach den Wahlen die Dinge nicht umgesetzt haben, die sie uns vor den Wahlen versprochen hatten, waren wir frustriert.
Wir sagten zur Regierung: ‘Regierung, wir haben mehr als einmal gewählt, angesichts der Versprechen von Wohnraum und Land für die SlumbewohnerInnen, und ihr habt niemals etwas von dem gehalten, was ihr versprochen habt. Diesmal werden wir eure Wahl boykottieren, um zu zeigen, dass wir nicht länger an etwas teilnehmen werden, das sich für uns nicht bezahlt macht.’
Wenn wir sagen ‘kein Land, kein Wohnraum, keine Stimme’9, dann nicht, weil wir nicht wählen möchten, sondern weil wir möchten, dass unsere Regierung vor uns rechenschaftspflichtig ist, wir möchten, dass unsere Regierung uns Respekt zollt. Wir haben gesagt ‚wir wissen, dass ihr Häuser nicht innerhalb eines kurzen Zeitraums bauen könnt’, aber was hat die Regierung unternommen, um uns zu helfen?
Vielleicht sollten sie sich ein Übereinkommen einfallen lassen, zwischen den Leuten und der Regierung, dass wir euch innerhalb von zwei Jahren, oder eines Jahres oder innerhalb von fünf Jahren Häuser bauen, denn damit versprecht ihr, dass ihr allen umsonst Häuser bauen werdet. Niemand ist verantwortlich für diese Versprechen, die im Radio und durch die Medien gemacht werden, es gibt keine Akten dazu, wo schwarz auf weiß steht, dass jemand bestimmter verantwortlich ist, wenn das Versprechen niemals eingehalten wird.
PN: Erinnert ihr euch an den großen Ausbruch von Xenophobie in Südafrika? Abahlali beschloss, anders als die Regierung, tatsächlich zu intervenieren, durch Äußerungen und Kampf gegen die xenophoben Angriffe. Warum habt ihr als BarackenbewohnerInnen gefühlt, dass es wichtig war, bei diesen xenophoben Angriffen zu intervenieren?
Zodwa: Als Bewegung spürten wir, dass unsere Schwestern und Brüder aus anderen Ländern die Opfer der Regierung wurden. Sie waren die einfachsten Ziele für die Einheimischen, aber die Frustration war wegen der Regierung, wegen der langsamen Geschwindigkeit, in der Dienstleistungen geliefert wurden, und wegen der nicht erfüllten Versprechen gegenüber der community.
PN: Um zum Ende zu kommen, was ich vor allem fragen wollte – ich weiß, dass ist eine schwierige Frage – was glaubt ihr, war in den letzten drei, vier Jahren der größte Erfolg, den ihr als Bewegung hattet, und David, ihr als Organisation?
Mnikelo: Lange vor der Gründung von Abahlali dachten alle, dass die Leute in den informellen Siedlungen auch einen informellen Verstand hätten. Wir haben ihnen gezeigt, dass wir zwar arm im Leben sein können, aber Gott schenkt uns deshalb nicht nur wenig Verstand.
Ehe Abahlali gegründet wurde, gab es in den Nachrichten nichts über die BarackenbewohnerInnen, sogar die Medien schenkten uns keinerlei Aufmerksamkeit, es war eine vergessene Gesellschaft. Nur vor Wahlen schien es Politikern wichtig, in die Siedlungen zu gehen, um ihre Stimmen zu fangen, danach vergassen sie uns wieder. Aber jetzt gibt es eine Menge Nachrichten über die BarackenbewohnerInnen.
Vor Abahlali hätte ich nie gedacht, dass einE einfacheR BarackenbewohnerIn aufstehen und sagen kann ‚Regierung, ihr liegt falsch!’ und die Regierung vor Gericht bringen kann. Obwohl wir immer noch auf die Ergebnisse des Slumgesetzes warten, um herauszufinden, ob wir gewinnen können oder nicht, haben wir die 99,9%ige Hoffnung, dass wir gewinnen werden, denn wir wissen, dass die Verfassung auf unserer Seite ist. Wir haben in zahlreichen Fällen von Räumungen gewonnen, wenn die lokalen Behörden einfach hergingen und ohne Gerichtsanordnung zerstörten und räumten. Wir haben sie mit unseren eigenen AnwältInnen vor Gericht gebracht, und wir haben von 10 Fällen gegen die Regierung 10 gewonnen!
Auch als die Regierung versuchte, unseren Protest zu verbieten, haben wir sie vor Gericht gebracht und gewonnen! Wir waren niemals in der Situation, einen Fall gegen die Regierung zu verlieren, denn in den meisten Fällen sind die armen Menschen die ehrlichen, und sie sind die Opfer, deren Rechte verletzt werden. Sie haben niemals etwas angestellt, etwas Ungesetzlich getan. Das ist eine große Errungenschaft, denn in der Geschichte Südafrikas haben niemals einfache Leute die Regierung vor Gericht gebracht und dort einen Sieg errungen, einen Sieg, von dem wir hoffen, dass er auch eintritt, wenn das Verfahren um das Slumgesetz zu einem Ende kommt.
David: Ich möchte die Worte des Präsidenten von Abahlali baseMjondolo, S’bu Zikode, zitieren. Drei Worte fallen mir ein: ‚Rückgewinnung, Menschlichkeit, Aktion!’ So beschreibt er die Arbeit der Bewegung Abahlali baseMjondolo, und das spiegelt das Projekt wieder, die Gesellschaft umzugestalten. Als die Bewegung begann, wie Mnikelo sagt, als vergessene BürgerInnen, hat sie die Leute das Bewußtsein gelehrt, wer sie sind, wozu sie sind.
Ich zitiere auch unseren katholischen Bruder, Philipo Mondini, der zurückgegangen ist nach Italien, und der bei einem der Treffen sagte: ‚Wenn ich Menschen aus den Baracken sehe, sehe ich Gott, denn sie sind nicht nur angesichts Gottes erschaffen worden, sondern in ihnen lebt Gott. Wer immer ihre Häuser zerstört, zerstört das Haus Gottes, wer immer sie in das Gefängnis steckt, steckt Gott in das Gefängnis.’ Das spricht für etwas Höheres, es spricht die Frage an, was ist unsere Gesellschaft? Wenn du fragst, was unsere Gesellschaft ist, was die Bewegung als die Verantwortung derer begreift, die unsere Gesellschaft führen? Nun, wenn irgendetwas danach klingt, inhuman und entmenschlichend zu sein, dann steht diese Bewegung dafür, die Menschlichkeit zurück zu erobern.
Zodwa: Wir haben eine Menge erreicht, denn die Hauptidee war es, die Würde der Menschen, die in den informellen Siedlungen leben, zurückzufordern. Das war ein Erfolg, und die Würde der Menschen in den Siedlungen wurde zurückgefordert, ihre Stimmen wurden zurückerobert.
Fussnoten:
1) citizen security communities
2) rural network (RN)
3) anti-eviction campaign (AEC)
4) landless people’s movement (LPM)
5) church land programme
6) association for rural advancement
7) Pietermaritzburg association for christian social awareness
8) Slum elimination bill
9) no land, no house, no vote