24 November 2010
Wenn die Armen außerhalb staatlicher Kontrolle zur Macht werden
Wenn die Armen außerhalb staatlicher Kontrolle zur Macht werden
S’bu Zikode, 11.11.20101
Es freut mich sehr, in die USA eingeladen zu sein, um nicht nur für mich, sondern für die Mitglieder von Abahlali als Kollektiv zu sprechen. Ich habe diese Einladung nur wegen der Bewegung erhalten, von der ich ein Teil bin, deshalb danke ich Abahlali baseMjondolo, Südafrika. Weiters danke ich der National Economic and Social Rights Initiative und allen FreundInnen von Abahlali in den USA.
Die Macht der Armen beginnt, wenn wir als Arme unsere eigene Menschlichkeit entdecken – wenn wir entdecken, dass wir tatsächlich im Angesicht Gottes erschaffen wurden und deshalb gleich sind mit allen menschlichen Wesen. Aber das Erkennen unserer Menschlichkeit ist ohne die Verteidigung unserer Menschlichkeit bedeutungslos. Es ist sehr wichtig, dass wir als Arme beginnen, uns selbst zu definieren, ehe irgendjemand anders beginnt, uns zu definieren. Es ist sehr wichtig für die Armen zu sagen: das ist, wer wir sind, das ist, wo wir sind und das ist, was wir wollen. In unserer Bewegung sagen wir, wie in vielen Bewegungen auf der Welt: Wir sind die Armen, diejenigen, die nicht zählen. Wir sagen, dass wir ausgeschlossen und nicht respektiert werden. Wir sagen, dass wir unsere ganze Menschlichkeit möchten, dass wir Gerechtigkeit möchten, dass wir Würde möchten und volle Teilnahme an der Planung unserer communities.
Je mehr von uns zusammenhalten, desto mehr ist unsere Menchlichkeit verwirklicht. Die Macht der Armen wird offensichtlich, wenn die Armen es schaffen, sich selbst für sich selbst zu organisieren. Wir wir damit beginnen, das zu erreichen, ist das immer ein Augenblick großer Versprechen und großer Gefahr. Frederick Douglas, der große Held eines der großen Kämpfe Amerikas, des Kampfes gegen die Sklaverei, sagte: „Die Macht gibt ohne Forderungen nichts ab.“ Deshalb ist eine kollektive Forderung, eine Forderung, die von Organisierung, Entschlossenheit und Courage unterstützt wird, ein Augenblick großer Versprechen. Aber es ist auch ein Augenblick großer Gefahr, denn für die Macht der Reichen und der PolitikerInnen sind die legitimen Forderungen der Unterdrückten immer als kriminell und illegitim. Das ist einer der Gründe, warum wir über die Meere hinweg zusammenhalten müssen. Wir können das Versprechen unseres Kampfes nur einlösen, wenn wir ihre Gefahren überleben und niemand von uns kann das auf sich selbst gestellt. Ich wurde von Abahlali baseMjondolo hierher geschickt, um eine lebendige Solidarität mit den Bewegungen in Amerika aufzubauen. Wir wollen nach Wegen suchen, wie wir einander unterstützen können, um die Versprechen unserer Kämpfe einzulösen.
Es gibt auch eine echte Gefahr für die organisierten Armen, wenn wir uns nicht selbst definieren. Wenn wir anderen erlauben, uns zu definieren, und unsere Kämpfe zu definieren, so riskieren wir, als Menschen definiert zu werden, die nicht für sich selbst kämpfen können – als Menschen, für die, nicht mit denen gesprochen werden muss. Aber wenn es uns gelingt, uns selbst zu definieren, und wenn wir der Gefahr, uns nicht selbst zu definieren, entkommen, so stehen wir vor einer neuen Gefahr. Es gibt eine weitere Gefahr für die organisierten Armen, wenn wir uns selbst definieren. Unsere Bewegung durchlebt eine Zeit, nachdem es uns gelungen ist, uns selbst zu definieren. Wir werden vom Staat angegriffen, von den Reichen und von einigen wenigen individuellen Linken, die zwar ökonomisch gespalten, aber in ihrer Politik vereint sind – in ihrem Glauben, dass es ihre Pflicht sei, die Pflicht der Eliten, für die Armen zu sprechen und sie zu vertreten.
Als Abahlali haben wir unseren Kampf sowohl national als auch international vertreten. Das war eine Krise für einige von denen, die meinen, für die Armen zu sprechen, zu schreiben und sie vertreten zu müssen. Der Weigerung unserer Bewegung wurde mit einer riesigen Kampagne, um uns zu diskreditieren und die Erfolge unserer Bewegung dabei, eine gerechte Gesellschaft aufzubauen, in der jedeR zählt, zu verunglimpfen, begegnet. Wir haben gelernt, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen denjenigen Kräften in der Zivilgesellschaft und in der Linken, die nach Anhängern suchen und denjenigen, die nach GenossInnen suchen. Wir haben gelernt, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen denjenigen Kräften in der Zivilgesellschaft und in der Linken, die meinen, sie seien die einzigen, die die Armen befreien können und denjenigen, die bereit sind, mit den Armen gemeinsam an unserer Befreiung zu arbeiten. Wir bleiben einer bottom-up-Politik verpflichtet, einer lebendigen Politik, einer täglichen Politik der politischen Ermächtigung von einfachen Frauen und Männern.
Der Staat hat eine Menge Strategien, die Armen zum Schweigen zu bringen. Den FührerInnen werden Geld und Jobs angeboten. Es gibt eine stille Diplomatie, durch welche der Bewegung eine gewisse Anerkennung verliehen wird. Es gibt Treffen, die zu allen Arten von technischen Debatten führen und weg von der einfachen Politik unserer Forderung nach Land und Wohnraum. Es gibt Einschüchterung. Aber wenn all diese Anstrengungen des Staates, die Armen zum Schweigen zu bringen, versagen, dann schickt er die Polizei. Die Polizei kommt nicht, so wie wir es gefordert haben, um die Armen zu schützen, sondern um uns zu schlagen, zu verhaften und sogar zu erschießen. Wir haben all das durchgemacht und brutale Angriffe überlebt. Unser massenhafter Aktivismus hat unsere Bewegung trotz Repression rasch anwachsen lassen.
Unsere Bewegung hat sich vielen Herausforderungen gestellt. Als wir damit begannen, eine mächtige Kraft in der Gesellschaft zu werden, begannen wir mit vielen Siegen. Wir haben Räumungen gestoppt, haben in einigen Siedlungen Dienstleistungen durchgesetzt und einige Anerkennung errungen. Dann begann der Staat damit, Rechtsmittel, mit denen er die BarackenbewohnerInnen und die Armen angreifen kann, einzusetzen. Der Staat kam mit einem neuen Gesetz daher, genannt Gesetz von KwaZulu-Natal zur Eliminierung, Ausrottung und Verhinderung von Slums vom Jahr 2007. Die neue Gesetzgebung wurde geschaffen, um diese Angriffe zu legitimieren. Arm und obdachlos zu sein bedeutet, kriminell zu sein, und du kannst bis zu 25 Jahre eingesperrt werden wegen Widerstand gegen Räumungen. Abahlali hat alle Menschen mobilisiert, bei denen es möglich war, darunter AnwältInnen, um die Verfassungswidrigkeit dieser Gesetzgebung zu beweisen. Die armen SüdafrikanerInnen wurden von Abahlali repräsentiert, was wiederum vom Centre for Applied Legal Studies an der Wits Universität vertreten wurde.
Als unser Fall vor dem Verfassungsgericht angehört wurde, war klar, dass der Staat keine Antwort auf unseren Fall hatte. Der Staat wurde von der Unvermeidlichkeit einer ernsthaften Niederlage durch BarackenbewohnerInnen gedemütigt. Es gab einen langen Moment der Stille. Wir machten weiter mit der Versorgung unserer Waisen, der Betreuung unserer Kranken. Wir bauten weiterhin Kinderkrippen auf und legten Gemüsegärten als Selbsthilfeprojekte an. Wir diskutierten weiter unsere lebendige Politik an unserer Abahlali baseMjondolo-Universität. All diese guten Anstrengungen im Versuch, eine Gesellschaft von Gleichen aufzubauen, wurden zu einer großen Bedrohung für die Behörden. In einigen staatlichen Institutionen sitzen gute Leute, zu denen wir weiterhin Kontakt hielten, während wir darauf achteten, unsere Autonomie zu erhalten. Sorgfältig bewerkstelligten wir unterschiedliche Verhandlungen, ohne in das System eingbunden zu werden, damit wir Siege gegenüber dem Staat erringen konnten, während wir weiterhin unsere Macht außerhalb des Staates aufbauten.
Aber während wir eine starke Bewegung aufbauten, bereitete der Staat sich emsig darauf vor, unsere Bewegung zu zerstören. Am 26. und 27. September 2009 griff eine Gruppe von rund 40 bewaffneten Männern gewaltsam unser Hauptquartier in der Siedlung Kennedy Road an. Die Polizei beschützte uns nicht. Als Menschen begannen, sich selbst zu verteidigen, gab es Kämpfe, und zwei Menschen starben, andere wurden verletzt. Die Häuser unserer FührerInnen, ihrer Familien und FreundInnen und der Anhängerschaft von Abahlali wurden zerstört und wir wurden aus der Siedlung vertrieben und waren gezwungen, uns zu verstecken. Der Angriff wurde von der Provinzführung der herrschenden Partei und von der Provinzregierung offen begrüßt. Bis heute wurden unsere Angreifer wegen der am Tag des Angriffs verübten Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen. Abahlali forderte eine Unabhängige Untersuchungskommission der Angriffe, aber diese Forderung traf auf taube Ohren. Kurz nach den Angriffen errangen wir einen historischen Sieg gegen das Slumgesetz.
Dieser Angriff ist eine Form des Preises, den eine Bewegung der Armen zahlen muss im Kampf um eine humane Welt, eine Welt der Gleichheit und Würde, einer Welt, in der Land und Wohlstand geteilt werden. Diese Form von Angriffen geschieht, wenn eine Bewegung fortfährt, sich außerhalb staatlicher Kontrolle zu organisieren, zu denken und zu wachsen. Eine lebendige Politik wird nicht an einem Tag aufgebaut. Sie wird aufbebaut durch Andacht, Bescheidenheit, Opfer und Courage. Unser Kampf ist ein Klassenkampf. Es ist der Kampf der Armen – derjenigen, die in Baracken leben, auf den Straßen verkaufen, Hausarbeit und Sicherheitsdienste verrichten. Um eine gerechte Welt aufzubauen, in der jedeR zählt, brauchen wir Verbündete unter denen in einer ähnlichen Klasse und unter denen mit besseren Ressourcen und Möglichkeiten.
Es wird die Zeit kommen, wenn die Armen, die zwar nicht Ausgebildeten, aber Menschlichen gefordert sein werden, eine menschliche Rolle in der Gesellschaft zu spielen. Es wird eine Zeit kommen, da die Menschlichkeit jedes menschlichen Wesens in der Gesellschaft anerkannt sein wird. Diese Zeit wird das Jüngste Gericht sein oder nicht. Wann diese Zeit kommt, hängt von unserer Entschlossenheit und Courage ab. Es hängt ebenso davon ab, wie gut wir den Kampf der jeweils anderen unterstützen können. Die Geschichte wird uns alle beurteilen.
Kommentare bitte an editor@pambazuka.org oder online unter pambazuka.org.
Fussnoten:
1) Vortrag für die Initiative für Nationalökonomie und Soziale Rechte, an verschiedene Teile der USA übermittelt. S’bu Zikode ist Präsident von Abahlali baseMjondolo.