Blechhütten statt Stadion

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Blechhütten statt Stadion

Die Armen in Südafrika haben nichts von der Fußballweltmeisterschaft. Im Gegenteil.

Die SüdafrikanerInnen sind fussballbegeistert. Die Weltmeisterschaft hatte im Vorfeld Hoffnungen und Vorfreude geweckt. Inzwischen ist die Euphorie bei vielen jedoch in Ernüchterung und Enttäuschung umgeschlagen.

“Wir alle dachten, wir werden die Fußballweltmeisterschaft in unseren neuen Häusern erleben dürfen“, sagt Mnikelo Ndabankulu, Mitglied eines Zusammenschlusses der Hüttenbewohner aus Durban (“Abahlali base Mjondolo”). “So lange wir hier in diesen Hütten leben müssen, können wir das nicht genießen.”

Die für mehrere Milliarden Euros neu gebauten Stadien werden jetzt vielfach kritisiert als Vergeudung der zur Bewältigung der sozialen Probleme des Landes dringend benötigten Mittel. Das neue Fußballstadion in Kapstadt ist das teuerste Gebäude, das jemals in Südafrika errichtet wurde. Der Stadtrat von Johannesburg musste wegen Überschreitung der Kosten für den Stadionbau seinen diesjährigen Haushalt um etwa 90 Millionen Euro kürzen. Dabei wurden statt der durch das Großereignis erwarteten 500.000 Arbeitsplätze im Stadionbau nur etwa 22.000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Bezeichnend für die soziale Kluft in Südafrika ist, dass wohl nicht einmal die einheimischen Bauarbeiter in den Genuss einer einfachen Eintrittskarte für die Fußballspiele kommen werden, da dies mehr als das 10fache ihres Wochenverdienstes verschlingen würde.

Auch beim Ereignis selbst werden “normale” Südafrikaner nur wenig verdienen können. Die FIFA pocht auf ihr Recht zur Kontrolle der Nebengeschäfte, die ihr Einnahmen durch Sponsoren bescheren, und besteht darauf, dass kein „unauthorisierter“ Straßenhändler im Umfeld der Stadien oder darinnen verkaufen kann. Die FIFA spricht von „Eventpiraten, die versuchen, Profit aus einem Ereignis zu schlagen, zu dem sie nichts beigetragen haben.“ Millionen von Familien in Südafrika leben vom Straßenhandel und werden durch das Ereignis also eher in ihrer Berufsausübung behindert, als davon profitieren zu können.

Ein Leben in Lagern

Auf der anderen Seite ist das Großereignis Anlass für außergewöhnliche Maßnahmen, mit dem Ziel der Vertreibung armer Leute aus dem Stadtbild. Die Polizei verjagt mehr Arme von den Straßen als je zuvor. Viele werden unter verschiedenen Vorwänden von Amts wegen in „temporäre Umsiedlungsgebiete“ eingewiesen.

Etwa 30 km außerhalb von Kapstadt, hinter dem Flughafen, erstreckt sich solch ein riesiges Gebiet, das im Volksmund “Blikkiesdorp” heißt, die Blechdosenstadt. Blikkiesdorp unterscheidet sich nur wenig von anderen Umsiedlungslagern, die in den letzten Jahren überall in Südafrika entstanden. Es besteht aus endlosen, akribisch durchnummerierten Reihen von 3 mal 6 m großen Zinkblechhütten, die im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt sind. Viele Kinder erkranken. Das Blech ist so dünn, dass es mit einer Blechschere aufgeschlitzt werden kann. Familien müssen sich den einzigen Raum einer Blechhütte teilen. Das Gelände ist staubig, ohne jegliche Vegetation. Für je vier Familien gibt es eine Küchenspüle, eine Toilette und einen Wasserhahn im Freien. Die Gemeinschaftstoiletten sind verdreckt und für die Frauen ist es sehr gefährlich, nachts auszutreten.

“Viele Leute haben die Arbeit verloren und hier gibt es nur wenige Jobs als Bauarbeiter. Ich muss jetzt über eine Stunde zur Schule fahren, was mehr als drei Dollar pro Tag kostet”, sagt die 16-jährige Nokumo, die mit ihrer Familie nach einem Brand in ihrem Selbstbauviertel in Langa nach Blikkiesdorp kam. Über zweieinhalb Jahre leben sie schon im Notcontainer, obwohl ihnen doch ein neues Haus versprochen wurde. Auch Nokumo und ihre Familie sind nicht freiwillig hier. “Wie einen Hühnerhaufen haben sie uns hier abgesetzt. Wir hatten keine Wahl.” Nicht nur die weiten Wege zu Arbeitstätten und Schulen sind ein Problem, auch ihre sozialen Hilfsnetze sind zerrissen, die für viele Aspekte des täglichen Lebens überlebenswichtig waren. Es gibt viel Gewalt, viel Unsicherheit, viel Angst und es kursieren Horrorgeschichten von entführten und misshandelten Kindern.

Ein Teil der hier Eingewiesenen kommt aus einfachen Mietwohnungen oder Billigpensionen in der Innenstadt Kapstadts, die in backpacker-Hotels oder Unterkünfte für den erwarteten Touristenstrom umgewandelt wurden. Gebiete wie Woodstock oder Observatory im Innenbereich Kapstadts sind zu Modequartieren geworden und selbst langjährige Mieter werden mit allen bekannten Tricks zum Auszug gedrängt, wenn sie keine höheren Mieten zahlen. Viele landen in Blikkiesdorp, zusammen mit den Opfern der Brandkatastrophen aus den informellen Siedlungen und anderen Opfern staatlicher Zwangsumsiedlung. Manche leben bereits fünf Jahre in der “Übergangsunterkunft”. Meistens kommen sie dann weit nach draußen in Neubaughettos, da stadtnahe Flächen für lukrativere Projekte reserviert sind.

Viele wehren sich gegen die Umsiedlung und werden dabei von engagierten Rechtsanwälten unterstützt. Einen Teilerfolg erzielten die Bewohner von Joe Slovo, einer Hüttensiedlung an der Autobahn vom Flughafen ins Zentrum von Kapstadt. Die Regierung wollte vor der Fußball-WM diesen “Schandfleck” im Blickfeld der ausländischen Besucher beseitigen und durch neue Häuser ersetzen. Das Versprechen, alle Bewohner könnten in die neuen Häuser einziehen, wurde im ersten Bauabschnitt nicht eingehalten – hier wohnen jetzt andere Leute. Die noch übrigen Familien weigerten sich folglich zu gehen und bekamen dafür sehr viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Ihre Hütten werden auch bei der WM zu sehen sein – die Realität Südafrikas lässt sich nicht verstecken!

Klaus Teschner, Habitat Netz