Fussball in Südafrika zur WM 2010

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Fussball in Südafrika zur WM 2010

Die erste Fussballwelstmeisterschaft auf afrikanischem Boden ist beendet und die Welt wurde Zeuge eines perfekt organisierten und begeisternden Turniers. Für Grossteile der Bevölkerung am Kap droht jetzt allerdings ein schwerer Kater.
Man musste nicht lange suchen, wollte man während der WM die Fussballbegeisterung in Südafrika aufspühren. Denn obwohl der Sport in der ehemaligen englischen Kolonie mit Rugby und Cricket ernsthafte Rivalen im Kampf um die Zuschauergunst hat, steht bei weiten Teilen der Bevölkerung „Soccer“ an erster Stelle. So konnte man auf den Sportfeldern vor dem Cricketstadion in Port Elizabeth (P. E.) bis spät in die Abendstunden Kinder aus der privelegierten weissen Mittelschicht dem Ball hinterherjagen sehen, bis die Eltern sie zum Gehen drängten.

Sharpeville: Township etwa 50 Kilometer südlich von Johannesburg

Auch in Sharpeville, dem Township etwa 50 Kilometer südlich von Johannesburg, wo das Apartheidregime 1960 das Feuer auf friedliche Demonstranten eröffnete und 69 von ihnen tötete, wurde gegen das runde Leder getreten. Wenn auch ohne Rasenplatz, Tore oder Fussballschuhe. Das Feld wurde auf der unbefestigten Strasse mit einem Backstein als Tor an jedem Ende abgesteckt. Zumindest gab es einen richtigen Ball. Auf engstem Raum wurde der Ball an einer beliebig wechselnden Zahl von Gegnern vorbeigetragen, um dann aus nächster Nähe die kleine Fläche des Steins zu treffen.

An den Stränden von P. E. vertrieben sich tagsüber Fussballfans aus aller Welt die Wartezeit bis zur nächsten Übertragung mit Gekicke auf dem feinen Sand. Einige Meter weiter, im „Captain’s“ an der Strandpromenade zeigten sich allerdings die Grenzen der südafrikanischen WM-Begeisterung: Anstatt des Gruppenspiels zwischen Australien und Ghana sah man die massigen Rugby-Spieler der „Springboks“ über die grosse Leinwand im Inneren der Bar flimmern.

BafanaBafana: patriotische Verbindung der gesamten südafrikanischen Bevölkerung

Nichtsdestotrotz konnte man während der Weltmeisterschaft eine patriotische Verbindung der gesamten südafrikanischen Bevölkerung mit ‘BafanaBafana’ und der Rolle des Gastgebers beobachten. Nicht unähnlich der schwarz-rot-goldenen Flut von 2006 waren bis zum letzten Tag Autos, Häuser und Südafrikaner mit der Landesflagge geschmückt. „Erstaunlich“ findet das Professor Martin Legassick, der nach seiner Emeritierung vom Geschichtsinstitut der University of the Western Cape Kolumnist und Beobachter der sozialen und politischen Lage Südafrikas geworden ist. Der ehemalige Exilant und Anti-Apartheidaktivist steht dem „grossen Adrenalinschub“ im Zuge der Weltmeisterschaft skeptisch gegenüber und sieht eine große Ernüchterung nach Ende des Spektakels.

„Die Weltmeisterschaft kommt nur den ohnehin Wohlhabenden in Südafrika zu gute“, so Legassick, der sich seit einigen Jahren für bessere Lebensbedingungen der marginalisierten Bevölkerungsschichten in den Townships einsetzt. Abgesehen davon, dass die FIFA das Hauptgeschäft in Südafrika gemacht habe, seien Investitionen wie beispielsweise in die Infrastruktur ebenfalls eher kontraproduktiv gewesen. So wurde der sichere und reibungslose Transport zum Stadion in Kapstadt gesichert, als Ausgleich jedoch Zugverbindungen in die verarmten Randgebiete der Metropole gestrichen. Den unzähligen informellen Verkäufern in Kapstadt wurde an vielen Stellen im Zentrum der Verkauf ihrer Waren verboten. So wurde ihnen nicht nur die Chance genommen, auch ein wenig vom Fussballtouristen-Kuchen abzubekommen, sondern auch die Existenzgrundlage ganzer Familien zerstört. Wer versuchte ohne Lizenz um die Stadien herum zu verkaufen konnte mit einer Verhaftung und einer Verurteilung vor einem der so genannten FIFA-Gerichten rechnen.

Infrastruktur und Handel litten

Doch nicht nur Infrastruktur und Handel litten unter den Auswirkungen des prestigeträchtigten Events Fussball-WM. Als im Sommer 2004 klar war, wer den Zuschlag für die WM 2010 bekommen würde, machten sich die Politiker Südafrikas umgehend Sorgen über das Image des von Armut, Kriminalität und Arbeitslosigkeit gebeutelten Landes. So wurde im Rahmen des Regierungsprogramms für adäquate Behausung das Pilotprojekt „N2 Gateway’“ nicht zufällig in Kapstadt gestartet. Der damalige Präsident Thabo Mbeki sowie der regionale Minister für Housing, Marius Fransman, wollten den WM-Touristen den Anblick der tausenden Wellblechhütten und verfallenen Sanitärbarracken der Townships Langa und Gughuletu an der N2-Autobahn zwischen Flughafen und Stadion ersparen. „Mit der Weltmeisterstadt 2010 in Kapstadt vor der Tür, müssen wir uns mit den informellen Siedlungen an der N2 beschäftigen“, so Fransman gegenüber der „Cape Times“ im April 2004.

Der ursprüngliche Bebauungsplan sah vor, die Hütten zu entfernen und ihre Bewohner in „Zwischenlagern“ unterzubringen, bis die neuen Häuser einzugsbereit seien. Wie sich jedoch bald herausstellte, übersteigen die Mieten der Häuser die Einkommen der Betroffenen um ein Vielfaches. Viele der ehemaligen Bewohner stecken daher auch fünf Jahre nach ihrer Umsiedlung in den eigentlich als temporär angedachten Siedlungen am äußersten Stadtrand fest. „Die Sanitäranlagen sind oft kaputt und die Elektrizitätsversorgung ist schlecht“, sagt Arthur Koeberg, Mitglied der Anti Eviction Campaign (AEC). Hier, am Rand des Townships Delft in der sandigen Ebene der Cape Flats, sind die Menschen ihrem alten sozialen Umfeld entrissen, haben kaum Verdienstmöglichkeiten und der Transport in die Innenstadt ist mit etwa einem Euro pro Fahrt für die meisten auf Dauer schlicht unbezahlbar. Die Kriminalitätsrate in Delft gehört mit über 1.000 Einbrüchen und 122 Morden im Jahr 2008 zu den höchsten im ganzen Land und nur wenige Frauen und Kinder trauen sich nach Einbruch der Dunkelheit aus ihren dünnwändigen und rissigen Übergangsbehausungen nach draußen.

Zwangsumsiedlung in Kapstadt

Die AEC setzt sich seit etwa zehn Jahren gegen Zwangsumsiedlungen in Kapstadt ein. Während der WM versuchte die Organisation mit Demonstrationen und der „Poor People’s World Cup“ die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu erregen. Auf einer Sportanlage gleich neben dem während der WM als Trainingsgelände genutzten Athlone Stadions und im Schatten des Tafelbergs spielen 42 Teams aus verschiednen Townships um den Weltmeistertitel. Von hier erschließt sich der Name der weltberühmten Sehenswürdigkeit nicht so leicht wie aus Blickrichtung des neuen WM-Stadions in Green Point. Die wenigsten haben ein WM-Spiel im Stadion gesehen. Auch ohne viel Geld könne man Freude am Fussball haben, so Koeberg. Seiner Meinung nach hätten die Milliarden für die neuen Stadien sinnvoller eingesetzt werden können. Etwa 400.000 Menschen in Kapstadt (etwa 15 Prozent) wohnen in Holz- und Wellblechhütten oder gar Zelten. Jährlich erhöht sich die Bevölkerung der Stadt um etwa 50.000 Menschen aufgrund von Migration und natürlichem Wachstum. In Athlone spielt während der Premier Leage Saison Engen Santos. Das Stadion zwischen Innenstadt und Flughafen sei nicht für die WM ausgewählt worden, weil es „zu nah an den armen Gebieten liegt“, mutmasst Koeberg.

Dabei geht es den Aktivisten, die die Besucher auf ihre missliche Lage aufmerksam machen wollen, nicht um eine generelle Kritik an dem Turnier. „Wir sind nicht unpatriotisch“, versichert S’bu Zikode, Vorsitzender von Abahlali baseMjondolo, einer Bewegung von Slumbewohnern, die sich vor drei Jahren aus einer Blockade gegen Zwangsumsiedlungen in Durban gründete. „Wir freuen uns über die Weltmeisterschaft“. Doch auch er mahnt an, dass arme Leute wie die Slumbewohner von den einmaligen Möglichkeiten, die das Event bietet, ausgeschlossen wurden. „Wenn Du aus den Townships bist, wer bist Du dann?“, führt Zikode aus. „Du zählst nicht, du hast kein Gewicht, du kannst nicht mit der Obrigkeit sprechen.“ In einem Versuch, dieser Stimmlosigkeit Ausdruck zu verleihen, riefen AbM, AEC und andere Organisationen bei den Präsidentschaftswahlen 2009 zum Wahlboykott auf. „No Land! No House! No Vote!“ nennt sich diese Strategie.

Seit ihrem bestehen hat die Organisation immer wieder mit Repressionen durch Banden und die südafrikanische Polizei und zu kämpfen. Im September 2009 gab es gezielte Übergriffe auf die Behausungen von AbM-Aktivisten, Büros wurden durchwühlt, Hütten angezündet, zwei Menschen starben. Es soll Hinweise darauf gegeben haben, dass die Angreifer mit dem ANC in Verbindung standen. Angeblich beschützte die Polizei einige Häuser in der Nähe, in denen keine AbM-Mitglieder wohnten. „Wir leben immer noch im Untergrund“, sagt Zikode bei einem Treffen in einem kleinen, kahlen Büro in der Innenstadt Durbans. An der Tür kein Schild, kein Hinweis auf die Mieter. „Veränderung ist nicht einfach“, sagt der kleine Mann mit leiser aber fester Stimme. Ob er glaubt, dass es nach der Weltmeisterschaft besser wird? „Die Drangsalierungen haben im Vorfeld des Turniers zugenommen.“ Zur Demonstration am nächsten Morgen kommen nur etwas mehr als hundert Menschen und eine überproportional wirkende Schar an ausländischen Journalisten sowie dutzende Polizeiautos. Die Menschen sind mit der WM beschäftigt. Die Veranstaltung verläuft reibungslos, so wie der Rest des Turniers.

Lob für die Gastgeber der WM 2010

Nur wenige Tage nach Ende der ersten Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden sind die Medien auf der ganzen Welt voll des Lobes für die Veranstalter, das Land und seine Menschen. Zu recht wird zu Kreuze gekrochen, mit dem Finger auf „die“ gezeigt, die im Vorfeld kein gutes Wort an den südafrikanischen Organisatoren ließen. Während die Besucher voller unvergesslicher Eindrücke das Land verlassen, wachen die Südafrikaner aus dem Rausch der letzten Wochen auf. In Kapstadt ist die Temperatur gestürzt, es regnet. Die Unternehmensberater von PricewaterhouseCoopers haben ausgerechnet, dass das 500 Millionen Euro teuere Green Point Stadion sich in Zukunft selbst dann nicht rechnet, wenn die zwei Fußballmannschaften der Region demnächst nicht mehr vor 1.000 Leuten spielen, sondern die neue Arena regelmäßig füllen. Was künftig mit den Stadien in Nelspruit oder Polokwane passieren soll, wo es keinen Profisport gibt, weiß wohl niemand wirklich.

Während des Poor People’s World Cup in Athlone knackt auf einmal das Mikrofon der überbeanspruchten Tonanlage: Das Team „Dänemark“ wird heute nicht spielen können. Zwei seiner Spieler wurden in der vergangenen Nacht im Township Hanover Park angeschossen, einer ist tot. Organisatorin Jane Roberts versucht eine Schweigeminute durchzusetzen. Kaum einer der Jungen reagiert, die Nachricht ist Alltag. Die Weltmeisterschaft ist für diesen Moment wichtiger. Vielleicht ist das zwischendurch mal ganz gut so.