Wenn Loyalität eine Bedrohung für die Gesellschaft wird

http://akkrise.wordpress.com/2010/11/09/wenn-loyalitat-zu-einer-bedrohung-fur-die-gesellschaft-wird/

Wenn Loyalität eine Bedrohung für die Gesellschaft wird

Präsentiert an der Universität Chicago von S’bu Zikode, Präsident der Bewegung der BarackenbewohnerInnen Abahlali baseMjondolo, Südafrika, mit Dr. Dipesh Chakrabarty, Lawrence A. Kimpton, ausgezeichneter Professor für Geschichte, südasiatische Sprachen und Gesellschaften als Diskutanten.

Mitfinanziert vom Menschenrechts-Workshop und der Nationalen Initiative für Ökonomische und Soziale Rechte (NESRI), mitgetragen vom Workshop für afrikanische Studien und dem Menschenrechtsprogramm der Universität Chicago. Vorgetragen am Montag, 8.11.2010 um 17:30 Uhr an der Universität Chicago in Zusammenarbeit mit Southside Gemeinsam für Macht Organisieren (STOP), Unerschrocken durch die Jugend Führen (FLY), Koalition der Community von Süd-Austin.

Ich wurde von der National Economic and Social Rights Initiative eingeladen, in die Vereinigten Staaten von Amerika zu kommen, um zu sprechen, zu lernen und unsere Kampferfahrungen in Südafrika zu teilen. Ich möchte NESRI für ihre Einladung und für die Solidarität mit unsern Kämpfen danken. In den letzten Jahren haben eine Menge GenossInnen aus unserer Bewegung Einladungen erhalten, in andere Länder zu reisen, um zu versuchen, eine lebendige Solidarität zwischen unseren verschiedenen Bewegungen aufzubauen. Als Mitglieder von Abahlali baseMjondolo erhalten wir nur wegen der Stärke der Bewegung, von der wir ein Teil sind, diese Einladungen, und deshalb ist uns völlig bewusst, dass wir als gewählte und rotierende VertreterInnen einer lebendigen Bewegung der Armen reisen, und nicht als Individuen.

Die Kirchen und FreundInnen von Abahlali auf der ganzen Welt, darunter auch hier in den USA, haben in den schwierigsten Zeiten zu unserer Unterstützung demonstriert. Nach den Bränden, die viele Leben unserer Kinder und Eltern gekostet haben, nach Überschwemmungen, nach den Schlägen von der Polizei und PolitikerInnen, nach gewalttätigen Angriffen usw. Wir danken euch für all das. Wir fürchten, ohne eure Unterstützung würden wir nicht mehr leben. Wenn die Armen das Lebensnotwendige einfordern, werden wir von vielen Reichen als Bedrohung für die Gesellschaft betrachtet. Die einfachsten und bescheidensten Forderungen werden der Welt so gezeigt, als wären sie das Werk Krimineller, dritter Kräfte und von Leuten, die nicht denken können und gewalttätig sind. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig für das Überleben unserer Kämpfe, dass wir Allianzen mit Menschen schmieden können, die bereit sind, der Welt zu bezeugen, dass nicht die organisierten Armen eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen, sondern das das System, das Menschen arm und andere reich macht, eine Bedrohung für die Gesellschaft ist.

Während ich in den USA bin, werde ich über verschiedene Punkte sprechen, aber heute möchte ich über die Frage der Loyalität sprechen.

Unsere lebendige Politik beginnt mit der Tatsache, dass wir alle als Abbild Gottes erschaffen wurden, und deshalb sind wir gleich. Unsere lebendige Politik beginnt mit der Anerkennung der vollen und gleichen Menschlichkeit jedes Menschen. Wir kämpfen als menschliche Wesen mit gleichem Wert und Verstand gegenüber allen anderen Menschen gegen ein System, dass Ungleichheit schafft, indem es einigen von uns tagtäglich die Menschlichkeit verwehrt.

Als im Jahr 2005 unsere Bewegung begann, begann sie aus Zorn, Hunger und Frustration. Wir wurden verzweifelt und wir mussten uns Gehör verschaffen. Unser erster kollektiver Akt, der Akt, der unsere Bewegung schuf, war eine Straßenblockade im März 2005. Als wir die Straße blockierten, hatte niemand von uns daran gedacht, solch eine Bewegung zu schaffen. Tatsächlich hatte niemand von uns auch nur die Straßenblockade im voraus geplant. Viele von uns wussten nicht, dass die Straßenblockade solch ein politischer Akt war. Doch wir erkannten, wie politisch sie war, als vierzehn von uns verhaftet, gesetzwidrig eingesperrt und im Gefängnis geschlagen wurden. Wir hatten gedacht, dass wir ignoriert würden, weil unsere Stimmen nicht vernehmbar waren. Aber wir entdeckten, dass wenn wir dafür sorgten, dass unsere Stimmen gehört wurden, und wenn wir mit den Behörden sprechen wollten, diese stattdessen die Polizei schickten. Wir entdeckten, dass vom Standpunkt des Staates aus betrachtet unsere Forderung, Gehör zu finden, als kriminelle Forderung betrachtet wurde. Später kamen wir drauf, dass einige Teile unserer Zivilgesellschaft denselben Standpunkt einnahmen. Wir entdeckten, dass von uns erwartet wurde, still vor uns hin zu leiden, während andere, PolitikerInnen und ExperInnen, unser Leben, unsere Kämpfe und unsere Zukunft diskutierten. Aber wir entdeckten auch unsere gemeinsame Stärke als organisierte Arme, die selbst organisierten Armen.

Loyalität war sowohl unsere Schwäche als auch unsere Stärke

Die Loyalität zerstörte uns, als wir sie den politischen Parteien gegenüber ausübten. Unsere Loyalität half keiner/m von uns mit unseren unterschiedlichen Parteipräferenzen. Unsere Loyalität half nicht einmal denen, die kämpften und eine Menge Opfer brachten, innerhalb der Vereinigten Demokratischen Front (UDF) während des Kampfes gegen die Apartheid.

Aber Loyalität war auch die Quelle unseres Überlebens. Loyalität ist elementar für die Stärke, die wir in unseren Familien und mit unseren FreundInnen, unseren Bewegungen und unseren communities aufgebaut haben. Als armer Mensch kannst du in dieser Welt auf dich selbst gestellt nicht überleben. Ohne Loyalität gäbe es niemand, die/der für unsere Kinder sorgt, wenn wir auf Arbeit sind, die/der dir nach einem Brand einen Platz in ihrem/seinem Haus anbietet, dich in der community bekannt macht, wenn du einen Ort zum Leben brauchst, die/der neben dir steht, wenn die Polizei und die land invasion units kommen. Vielleicht liegt es daran, dass wir ohne Loyalität nicht überleben können, dass wir Loyalität als so wichtige Sache begreifen.

Aber während Loyalität die große Stärke der Armen ist, ist sie gleichzeitig eine große Gefahr für die Armen. Loyalität politischen Parteien und denjenigen, die versuchen, die Geschichte des Kampfes gegen die Apartheid für sich selbst zu privatisieren, gegenüber wird zu einer ernsten Gefahr für die Armen in einem top-down-Herrschaftssystem. Sie ist sogar eine Bedrohung für unsere Demokratie, eine Demokratie, die immer noch den Interessen der wenigen dient, während die Mehrheit in den Baracken verrottet, ohne Häuser, ohne Jobs und ohne Würde. Loyalität wird zu gefährlich, wenn politische FührerInnen ihre Loyalität gegenüber ihren politischen Parteien und Indiduen innerhalb dieser Parteien ausüben, um für sich selbst Vorteile herauszuschlagen, während sie die Armen ausschließen. Das hat eine Kultur von Korruption, Vorteilnahme, Nepotismus, politischer Intoleranz, Gewalt und der Verfügung über regierungseigene Dienstleistungen durch die politischen Parteien geführt.

Diejenigen von uns, die sich dieser Loyalität den PolitikerInnen gegenüber entgegenstellen, werden nicht nur ausgegrenzt, wir werden auch schwer bestraft. Auf dieser Basis werden die BarackenbewohnerInnen und die Armen dazu gezwungen, eine lebenslange Haft in den Baracken zu verbüssen, trotz zahlreicher Aufrufe für kleine Verbesserungen wie die Milleniums-Entwicklungsziele. Tatsächlich wurden in unserem Land die Milleniumsziele zu einem weiteren Freibrief für diejenigen an der Macht, sich selbst am BEE1 zu bereichern. Unser Land steht am Rand einer Katastrophe. Die Armen werden ärmer, während die Reichen reicher und den Armen gegenüber unterdrückerischer werden. Wir spüren, wie die Welt um uns enger wird. Wir haben lange davor gewarnt, dass der Zorn der Armen sich in viele Richtungen Luft machen kann.

Loyalität sollte bei uns beginnen. Sie sollte dort beginnen, wo wir sind, mit dem, was wir haben. Zuerst müsen wir uns selbst gegenüber loyal sein, ohne danach zu trachten, irgendjemand außer uns selbst zu beeindrucken. Dann müssen wir loyal sein gegenüber unseren Familien, unseren communities und unserer Gesellschaft. Unsere Loyalität sollte am Boden der Gesellschaft beginnen, wo wir sind, und nicht bei den politischen Parteien an der Spitze der Gesellchaft.

Ich muss auch davor warnen, dass Loyalität nicht daher rührt, dass jemand reich ist oder dass jemand in seiner/ihrer Karriere erfolgreich ist. Sie bedeutet nicht, dass wir zustimmen sollten, wo es nichts zuzustimmen gibt. Sie sollte nicht als Form von Frieden und Kompromiss begriffen werden. Was moralisch ist und den verletzlichsten Gruppen unserer Gesellschaft und zukünftigen Generationen hilft, kann uns in Konflikt mit den PolitikerInnen und den Reichen bringen. Manchmal kann es uns auch in Konflikt mit einigen Teilen der Zivilgesellschaft bringen.

Lasst uns heute unsere Loyalität betrachten, um herauszufinden, wie viel Schaden oder Gutes sie anderen bringen. Lasst uns weitermachen mit Loyalitäten, die uns Sicherheit geben, die unsere Würde bestätigen, die unsere Stimmen laut machen, die unsere Macht aufbauen. Lasst uns die Loyalitäten beiseite schieben, die unsan diejenigen Menschen und Systeme fesseln, die uns unterdrückt halten.

Loyalitäten gegenüber politischen Parteien, ExpertInnen und dem ganzen top-down-System gegenüber haben dazu geführt, dass diese LoyalistInnen den BarackenbewohnerInnen und den Armen ihre Bürgerrechte vorenthalten, ihr Recht auf gut gelegenes Land, annehmbaren Wohnraum, Sicherheit und Bildung. Uns wurden die grundlegendsten Dienstleistungen vorenthalten, wie Wasser und Sanitäranlagen, Strom, Zugang zu Straßen, Müllabfuhr. Wir wurden von den Diskussionen um unsere Zukunft ausgeschlossen. Und vor allem wurden uns unsere Würde, Ubuntu2 und Abahlalismus3 vorenthalten. Wegen dieser Verweigerung glaubt der Staat – mit Unterstützung einiger rückschrittlicher Linker – dass sie uns kaufen oder uns einschüchtern können, um unseren Kampf zu begraben, auf dass sie weiterhin als die einzigen Legitimierten auftreten können, die für die Armen sprechen. Das werden wir niemals akzeptieren. Die Armen haben die selben Rechte wie alle anderen, bei den Diskussionen über unsere Zukunft im Zentrum zu stehen.

Wir rufen alle Armen und alle Marginalisierten auf, gemeinsam mit allen fortschrittlichen sozialen Bewegungen der Armen und den NGOs, Kirchen und Individuen, die bereit sind, mit uns nicht für die Armen zu sprechen, mit und nicht für die Armen zu kämpfen, uns auf unserer Reise zu einer gerechten Welt, die eine Welt der Gleichheit, eine Welt, in der alle zählen ist, zu begleiten. Das ist keine einfache Reise. Manchmal ist es sehr schwer. Manchmal wird sie von Lügen, Schlägen, Verhaftungen und Tod begleitet. Aber wir werden weitergehen, obwohl wir wissen, dass die Siege nicht sicher sind und dass, wenn wir welche errungen haben, wir sie manchmal zu einem hohen Preis errungen haben.

Beispielsweise gewannen wir 2009 einen Fall vor dem Verfassungsgerichtshof, gegen das Gesetz zur Eliminierung und Verhinderung des Wiedererstehens von Slums in KwaZulu-Natal von 2007. Zur Feier dieses Sieges haben wir zwei Rinder geschlachtet. Aber wir wurden für diesen Sieg bestraft, mittels eines geplanten Überfalls auf unsere Bewegung. Die Gewalt, die diesem Überfall folgte, führte zu zwei Toten und mehreren Verletzten. Das Hauptquartier von Abahlali wurde geplündert, die Häuser seiner FührerInnen und ihrer Familien wurden niedergebrannt und mehrere hundert Menschen waren gezwungen, sich zu verstecken. Unsere Angreifer erfüllten ihre Loyalität gegenüber den PolitikerInnen, die den Angriff angezettelt hatten. Der Premierminister der Provinz und der Präsident der Republik blieben stumm. Keiner der Angreifer wurde verhaftet und die wenigen Anklagen, die wir gegen sie durchbringen konnten, wurden niemals untersucht.

Das war eindeutig ein Angriff auf unsere schwer errungene Demokratie. Unsere Verfassung lässt alle Formierungen von demokratischen Organisationen, wie unsere Bewegung eine ist, zu. Aber der Staat und seine Parteien engen den Spielraum für Demokratie ein. Abahlali hat hart daran gearbeitet, sich einen eigenen Raum zu verschaffen, um lebendige Solidarität unter den Armen zu teilen, zu erlernen und aufzubauen. Wir haben hart daran gearbeitet, so einen Raum zu schützen, selbst als die Parteiloyalisten ihn für sich selbst entwenden wollten, um damit ihre zukünftige Karriere zu sichern. Obwohl wir unseren Platz in unserer Gesellschaft demütig eingenommen haben, nehmen wir ihn fest ein, und wir weigern uns, unsere Macht aufzugeben. Wir werden nicht zulassen, dass die Loyalisten und das System, die uns unterdrücken, unsere Bewegung zerstören und unsere Moral kompromittieren. Unsere Loyalität bleibt bei den Unterdrückten und bei allen Menschen, die bereit sind, an der Seite der Unterdrückten in unserem Kampf eine gerechte Welt aufzubauen.

Uyishayile!

Land und Freiheit!

Fussnoten:

1) BEE = Black Economic Empowerment, ein Programm der südafrikanischen Regierung, um die Ungleichheiten der Apartheid abzubauen. Nach en.wikipedia.org

2) Erzbischof Desmond Tutu beschrieb Ubunut 1999 so: „Ein Mensch mit Ubuntu ist offen gegenüber anderen und für sie da, er bezieht sich auf andere, fühlt sich nicht davon bedroht, dass andere fähig und gut sind, denn er oder sie hat ein gutes Selbstbewußtsein, dass daher rührt, dass er/sie weiß, dass er oder sie zu einem größeren Ganzen gehört und dass er selbst behindert wird, wenn andere erniedrigt oder behindert werden, wenn andere gefoltert oder unterdrückt werden.“ (en.wikipedia.org)

3) Abahlali abangalali bedeutet „die Massen, die es wagen, nicht zu schlafen“. (facebook.com/group.php?gid=5325717836)