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Die Bewegung der Hüttenbewohner

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Die Bewegung der Hüttenbewohner

Die Basisorganisation Abahlali base Mjondolo kämpft gegen Zwangsumsiedlung

“Wir merkten, dass unsere Probleme überall die gleichen sind: wir haben kein Wasser. Wir haben kein Land, um in Sicherheit unsere Häuser zu bauen. Wir werden nicht gehört und wir werden misshandelt, wenn wir uns wehren”, sagt S’bu Zikode, der gewählte Sprecher der Hüttenbewohner in der südafrikanischen Industriemetropole Durban. Abahlali base Mjondolo setzt sich ein für die Umsetzung der in der Verfassung garantierten Rechte, die durch die Regierungspraxis immer wieder verletzt werden. Die Bewegung entstand in einer Armensiedlung in Durban, hat sich inzwischen aber auf viele der großen Städte in Südafrika ausgebreitet und mit anderen Sozialbewegungen verbündet.

“Die an der Macht sind blind für unser Leid”, schrieb S’bu Zikode in einem vielzitierten Zeitungsartikel. “Ich fordere unsere politischen Führer dazu auf, mindestens eine Woche bei uns in den Hütten zu verbringen. Sie müssen den Schlamm spüren. Sie müssen sechs Toiletten mit 6.000 Leuten teilen. Sie müssen die Ratten verjagen und die Kinder davon abhalten, die Kerzen umzustoßen. Sie müssen für die Kranken sorgen, wenn es riesige Schlangen vor dem Wasserhahn gibt. Sie müssen zusehen, wenn wir unsere Kinder beerdigen, die in einem der Feuer umgekommen sind, die an Durchfall gestorben sind oder durch AIDS.”

Der Zusammenschluss der Hüttenbewohner hat bereits viel erreicht, jedoch auch den Hass von einflussreichen Politikern auf sich gezogen, deren Korruption sie anklagten und deren Landschiebereien sie vereiteln konnten. Sie schafften es, Zwangsumsiedlungen zu verhindern und Verbesserungen für ihre Siedlungen auszuhandeln. Ihr größter Erfolg war die Klage gegen das neue “Slumgesetz” der Regierung, das in vielen Aspekten an alte Apartheidgesetze erinnerte, mit denen informelle Siedlungen kriminalisiert wurden. Im Oktober 2009 gab das Verfassungsgericht Südafrikas den Hüttenbewohnern von Abahlali vollständig Recht und verurteilte die Regierung dazu, den verfassungsfeindlichen “Slum Act” zurückzuziehen.

Dieser unglaubliche Erfolg war jedoch überschattet von einer Welle der Repression gegen die Sozialbewegung, die viele der lokalen Leitungspersonen von Abahlali dazu gezwungen hat, sich zu verstecken, um ihr Leben und das ihrer Familie zu schützen.

Überfall auf die Siedlung

Ende September 2009 wurde die Siedlung Kennedy Road in Durban von Schlägertrupps überfallen. Das Sozialzentrum und die Wohnhäuser von 30 bekannten Leitungspersonen von Abahlali wurden verwüstet. Die Bewohner verteidigten sich, zwei Menschen starben. Am nächsten Morgen kamen die Schläger in Begleitung der Polizei zurück. Diese nahm 13 bekannte Mitglieder von Abahlali unter Mordanklage fest. Viele mit Abahlali verbundene Personen – auch S’bu Zikode – mussten wegen direkter Morddrohungen fliehen und sich verstecken. Lokale Vertreter der Regierungspartei ANC übernahmen die Kontrolle der Siedlung.

Bischöfe und Menschenrechtsgruppen solidari-sierten sich sofort mit den Hütten-bewohnern. Sie sprachen von einer Gefahr für die junge Demokratie Südafrikas, wenn der alles beherrschende ANC politische Gegner mit solchen Mittel auszuschalten versucht. Auch Amnesty International drückte seine Besorgnis aus und inter-nationale Persönlichkeiten wie Noam Chomsky, Naomi Klein und Slavoj Zizek unterzeichneten eine Petition zugunsten von Abahlali. Bis heute gab es jedoch keine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. Gegen die Verhafteten gibt es noch keine Anklage. Fünf sind weiterhin in Haft.

Demokratie von unten

Im März 2010 sandte Abahlali base Mjondolo eine Delegation nach Rio de Janeiro zum Weltstadtforum, das alle zwei Jahre von UN Habitat an verschiedenen Orten der Welt veranstaltet wird. Wie alle Entscheidungen der Basisbewegung Abahlali, so ist auch diese Reise Ergebnis langer Diskussionen in allen Gremien der Organisation, in denen von unten festgelegt wird, wer gehen soll und was die Vertreter als Stellungnahme zu überbringen haben. In den Versammlungen Abahlalis hat jeder das Recht zu reden, niemand wird unterbrochen, alles wird von englisch auf Zulu und Xhosa übersetzt. Abahlali setzt auf eine “langsame Politik”, um jedem eine reale Teilnahme zu ermöglichen. Abahlali nennt dies “Living Democracy”.

Austausch in Rio

Louise Motha, eine der drei Delegierten in Rio, schaffte es, die beschönigenden Darstellungen der südafrikanischen Regierung eindrucksvoll zu widerlegen. Das Wichtigste, so Louise, war jedoch der Austausch mit anderen Organisationen. “Wir haben viel gelernt von den Leuten, die leere Gebäude in der Innenstadt Rios besetzt haben und diese jetzt umbauen. Auch hier werden die Armen an den Stadtrand vertrieben und wehren sich dagegen. Unsere Erfahrungen mit den Vertreibungen im Vorfeld der Fussball-WM sind bestimmt hilfreich für sie. Es wird hier zu ähnlichen Konflikte kommen.”

Den Armen in Rio de Janeiro steht 2014 die nächste Fußball-WM und 2016 die Olympiade bevor.

Klaus Teschner, Habitat Netz

Blechhütten statt Stadion

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Blechhütten statt Stadion

Die Armen in Südafrika haben nichts von der Fußballweltmeisterschaft. Im Gegenteil.

Die SüdafrikanerInnen sind fussballbegeistert. Die Weltmeisterschaft hatte im Vorfeld Hoffnungen und Vorfreude geweckt. Inzwischen ist die Euphorie bei vielen jedoch in Ernüchterung und Enttäuschung umgeschlagen.

“Wir alle dachten, wir werden die Fußballweltmeisterschaft in unseren neuen Häusern erleben dürfen“, sagt Mnikelo Ndabankulu, Mitglied eines Zusammenschlusses der Hüttenbewohner aus Durban (“Abahlali base Mjondolo”). “So lange wir hier in diesen Hütten leben müssen, können wir das nicht genießen.”

Die für mehrere Milliarden Euros neu gebauten Stadien werden jetzt vielfach kritisiert als Vergeudung der zur Bewältigung der sozialen Probleme des Landes dringend benötigten Mittel. Das neue Fußballstadion in Kapstadt ist das teuerste Gebäude, das jemals in Südafrika errichtet wurde. Der Stadtrat von Johannesburg musste wegen Überschreitung der Kosten für den Stadionbau seinen diesjährigen Haushalt um etwa 90 Millionen Euro kürzen. Dabei wurden statt der durch das Großereignis erwarteten 500.000 Arbeitsplätze im Stadionbau nur etwa 22.000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Bezeichnend für die soziale Kluft in Südafrika ist, dass wohl nicht einmal die einheimischen Bauarbeiter in den Genuss einer einfachen Eintrittskarte für die Fußballspiele kommen werden, da dies mehr als das 10fache ihres Wochenverdienstes verschlingen würde.

Auch beim Ereignis selbst werden “normale” Südafrikaner nur wenig verdienen können. Die FIFA pocht auf ihr Recht zur Kontrolle der Nebengeschäfte, die ihr Einnahmen durch Sponsoren bescheren, und besteht darauf, dass kein „unauthorisierter“ Straßenhändler im Umfeld der Stadien oder darinnen verkaufen kann. Die FIFA spricht von „Eventpiraten, die versuchen, Profit aus einem Ereignis zu schlagen, zu dem sie nichts beigetragen haben.“ Millionen von Familien in Südafrika leben vom Straßenhandel und werden durch das Ereignis also eher in ihrer Berufsausübung behindert, als davon profitieren zu können.

Ein Leben in Lagern

Auf der anderen Seite ist das Großereignis Anlass für außergewöhnliche Maßnahmen, mit dem Ziel der Vertreibung armer Leute aus dem Stadtbild. Die Polizei verjagt mehr Arme von den Straßen als je zuvor. Viele werden unter verschiedenen Vorwänden von Amts wegen in „temporäre Umsiedlungsgebiete“ eingewiesen.

Etwa 30 km außerhalb von Kapstadt, hinter dem Flughafen, erstreckt sich solch ein riesiges Gebiet, das im Volksmund “Blikkiesdorp” heißt, die Blechdosenstadt. Blikkiesdorp unterscheidet sich nur wenig von anderen Umsiedlungslagern, die in den letzten Jahren überall in Südafrika entstanden. Es besteht aus endlosen, akribisch durchnummerierten Reihen von 3 mal 6 m großen Zinkblechhütten, die im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt sind. Viele Kinder erkranken. Das Blech ist so dünn, dass es mit einer Blechschere aufgeschlitzt werden kann. Familien müssen sich den einzigen Raum einer Blechhütte teilen. Das Gelände ist staubig, ohne jegliche Vegetation. Für je vier Familien gibt es eine Küchenspüle, eine Toilette und einen Wasserhahn im Freien. Die Gemeinschaftstoiletten sind verdreckt und für die Frauen ist es sehr gefährlich, nachts auszutreten.

“Viele Leute haben die Arbeit verloren und hier gibt es nur wenige Jobs als Bauarbeiter. Ich muss jetzt über eine Stunde zur Schule fahren, was mehr als drei Dollar pro Tag kostet”, sagt die 16-jährige Nokumo, die mit ihrer Familie nach einem Brand in ihrem Selbstbauviertel in Langa nach Blikkiesdorp kam. Über zweieinhalb Jahre leben sie schon im Notcontainer, obwohl ihnen doch ein neues Haus versprochen wurde. Auch Nokumo und ihre Familie sind nicht freiwillig hier. “Wie einen Hühnerhaufen haben sie uns hier abgesetzt. Wir hatten keine Wahl.” Nicht nur die weiten Wege zu Arbeitstätten und Schulen sind ein Problem, auch ihre sozialen Hilfsnetze sind zerrissen, die für viele Aspekte des täglichen Lebens überlebenswichtig waren. Es gibt viel Gewalt, viel Unsicherheit, viel Angst und es kursieren Horrorgeschichten von entführten und misshandelten Kindern.

Ein Teil der hier Eingewiesenen kommt aus einfachen Mietwohnungen oder Billigpensionen in der Innenstadt Kapstadts, die in backpacker-Hotels oder Unterkünfte für den erwarteten Touristenstrom umgewandelt wurden. Gebiete wie Woodstock oder Observatory im Innenbereich Kapstadts sind zu Modequartieren geworden und selbst langjährige Mieter werden mit allen bekannten Tricks zum Auszug gedrängt, wenn sie keine höheren Mieten zahlen. Viele landen in Blikkiesdorp, zusammen mit den Opfern der Brandkatastrophen aus den informellen Siedlungen und anderen Opfern staatlicher Zwangsumsiedlung. Manche leben bereits fünf Jahre in der “Übergangsunterkunft”. Meistens kommen sie dann weit nach draußen in Neubaughettos, da stadtnahe Flächen für lukrativere Projekte reserviert sind.

Viele wehren sich gegen die Umsiedlung und werden dabei von engagierten Rechtsanwälten unterstützt. Einen Teilerfolg erzielten die Bewohner von Joe Slovo, einer Hüttensiedlung an der Autobahn vom Flughafen ins Zentrum von Kapstadt. Die Regierung wollte vor der Fußball-WM diesen “Schandfleck” im Blickfeld der ausländischen Besucher beseitigen und durch neue Häuser ersetzen. Das Versprechen, alle Bewohner könnten in die neuen Häuser einziehen, wurde im ersten Bauabschnitt nicht eingehalten – hier wohnen jetzt andere Leute. Die noch übrigen Familien weigerten sich folglich zu gehen und bekamen dafür sehr viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Ihre Hütten werden auch bei der WM zu sehen sein – die Realität Südafrikas lässt sich nicht verstecken!

Klaus Teschner, Habitat Netz