Fußballweltmeisterschaft und Armenviertel in Südafrika

Fußballweltmeisterschaft und Armenviertel in Südafrika

15 Jahre nach dem Ende der Apartheid ist Südafrika weltweit immer noch Spitzenreiter in Bezug auf soziale Ungleichheit – zusammen mit Brasilien und Namibia. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich in den letzten Jahren sogar verstärkt. Sie ist besonders sichtbar und ausgeprägt in den großen Städten des Landes: in Kapstadt, in Johannesburg, in Durban, in Port Elizabeth oder in East London. Trotz des Gold- und Diamantenreichtums des Landes lebt hier immer noch ein großer Teil der Bevölkerung in Armut, unter schlechtesten Lebensbedin-gungen, oft in Hütten aus Blech, Abfall oder Holzresten und ohne Basisinfrastrukturen wie Strom-, Wasser- oder WC-Anschluss. Sie sind ausgegrenzt, leben am Rande der Städte oder auf Restflächen, streng getrennt von besseren Wohngebieten. Besonders trifft dies die schwarze Bevölkerungsmehrheit und die Menschen, die in der Apartheidzeit als „Farbige“ bezeichnet wurden. Aber auch Migranten und Flüchtlinge aus anderen Teilen Afrikas sind diesen prekären Lebensbedingungen ausgesetzt.

Etwa 10 Mio. Südafrikaner leben nach staatlichen Angaben in informellen Siedlungen, in “backyard-shacks”, in heruntergekommenen und überfüllten Wohnheimen (hostels), in einem Blechcontainer der riesigen Notaufnahmelager oder in verwahrlosten innerstädtischen Gebäu-den. Für sie bleiben die in der neuen Verfassung garantierten Rechte – etwa das Recht auf Wohnen – bis heute ein Traum. Zudem sind sie immer wieder von Vertreibungen bedroht. Dies betrifft in erster Linie die innerstadtnahen informellen Siedlungen, die jetzt profitableren Nutzungen weichen sollen. Ebenso werden aber Mieter aus Wohnungen in den Innenstädten zwangsgeräumt und in Notaufnahmelager weit draußen vor der Stadt verbracht. Viele wur¬den schon zwei- bis dreimal vertrieben oder zwangsumgesiedelt.

Das Apartheid-Regime hatte alle aus den Innenstädten vertrieben, die als „Schwarze“, „Farbige“ oder „Inder“ eingestuft waren und zwang sie in streng segregierte Gebiete am Stadtrand. Seit den 90er Jahren kamen viele wieder zurück in innenstadtnähere Bereiche, wo sie leichter Arbeit fanden. Sie besetzten Brachen in Sumpfgebieten, siedelten auf Restflächen neben Müllhalden, Autobahnen oder Bahngleisen. Solch informelle Siedlungen wurden auch als Teil des Widerstands gegen das Unrechtsregime begriffen und von der demokratisch gewählten Regierung Mandelas zunächst einmal anerkannt. Seitdem ließ der Staat über 1,5 Millionen Einfachsthäuser für die Armen bauen, zum Teil in den Townships, oft aber auf neuem Bauland weit draußen vor der Stadt. Das sollte auch als Entschädigung verstanden werden für das Unrecht der Zwangsumsiedlungen und der vielfachen Entrechtungen während der Zeit der Rassentrennung. Ein Teil der Armen kam in den Genuss solch eines neuen Hauses, musste dafür jedoch oft auch den Nachteil langer Fahrtzeiten und -kosten sowie die Trostlosigkeit eines Vorstadtghettos in Kauf nehmen. Für die meisten allerdings änderte sich nichts, sie blieben in ihren Hütten am Stadtrand oder in Nähe der Innenstadt. Heute geht die Regierung immer repressiver gegen solche „wilden Siedlungen“ vor, benutzt alle Vorwände, um Zwangsumsiedlungen durchzusetzen und versucht zudem mit Hilfe von Sicherheitsdiens¬ten und Spezialpolizeieinheiten, neue Ansiedlungen zu unterbinden.

Fußballweltmeisterschaft – was bringt sie Gutes?

Im Juni dieses Jahres wird die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika ausgetragen. Dieses Großereignis hatte im Vorfeld viele Hoffnungen, Erwartungen und viel Vorfreude bei der Bevölkerung des Landes geweckt. Präsident Mbeki sagte nach dem Zuschlag der FIFA, dies sei „ein Moment, da Afrika aufrecht und entschlossen den Jahrhunderten der Armut und Konflikte den Rücken kehrt.“ Die Mehrheit der immer schon fußballbegeisterten schwarzen Südafrikaner verband damit die Erwartung, dass durch die staatlichen Investitionen und das Großereignis ihre Lebensverhältnisse grundlegend verbessert würden. Für viele schlug die Euphorie jedoch mittlerweile in Ernüchterung oder gar in tiefe Enttäuschung um. Mnikelo Ndabankulu, Mitglied eines Zusammenschlusses der Hüttensiedler aus Durban („Abahlali base Mjondolo“), erklärt: „Wir alle dachten, wir werden die Fußballweltmeisterschaft in unseren neuen Häusern erleben dürfen. So lange wir hier in diesen Hütten leben müssen, können wir das nicht genießen.“

Die für mehrere Milliarden Euros neu gebauten Stadien werden jetzt vielfach kritisiert als Vergeudung der zur Bewältigung der sozialen Probleme des Landes dringend benötigten Mittel. Das neue Fußballstadion in Kapstadt ist das teuereste Gebäude, das jemals in Südafrika errichtet wurde. Der Stadtrat von Johannesburg musste wegen Überschreitung der Kosten für den Stadionbau seinen diesjährigen Haushalt um etwa 90 Millionen Euro kürzen. Dabei wurden statt der durch das Großreignis erwarteten 500.000 Arbeitsplätze im Stadion¬bau nur etwa 22.000 Arbeitsplätze neu geschaffen und auch die nur für kurze Zeit.

Auslän¬dische Baufirmen verdienten den Löwenanteil.

Auch beim Ereignis selbst werden „normale“ Südafrikaner nur wenig verdienen können. Die FIFA pocht auf ihr Recht zur Kontrolle der Nebengeschäfte, die ihr Einnahmen durch Spon-soren bescheren, und besteht darauf, dass kein „unauthorisierter“ Straßenhändler im Umfeld um die Stadien oder darin verkaufen kann. Die FIFA spricht von „Eventpiraten, die versu¬chen, Profit aus einem Ereignis zu schlagen, zu dem sie nichts beigetragen haben.“ Millionen von Familien in Südafrika leben vom Straßenhandel und werden durch das Ereignis also eher in ihrer Berufsausübung behindert sein, als davon profitieren zu können.

Vertreibung der Armen aus der Stadt – ein Leben in Lagern
Auf der anderen Seite ist das Großereignis Anlass für außergewöhnliche Maßnahmen, mit dem Ziel einer Vertreibung armer Leute aus dem Stadtbild. Die Polizei greift mehr als zuvor durch, um Arme von den Straßen zu entfernen. Viele werden unter verschiedenen Vorwän¬den von Amts wegen in „temporäre Umsiedlungsgebiete“ eingewiesen. Etwa 30 km außer¬halb von Kapstadt, hinter dem Flughafen, erstreckt sich solch ein riesiges Gebiet, das im Volksmund „Blikkiesdorp“ heißt, die Blechdosenstadt. Blikkiesdorp unterscheidet sich nur wenig von anderen Umsiedlungslagern, die in den letzten Jahren überall in Südafrika ent¬standen. Es besteht aus endlosen, akribisch durchnummerierten Reihen von 3 mal 6 m großen Zinkblechhütten, die im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt sind. Viele Kinder erkranken. Das Blech ist so dünn, dass es mit einer Blechschere aufgeschlitzt werden kann. Familien müssen sich den einzigen Raum einer Blechhütte teilen. Das Gelände ist staubig, ohne jegliche Vegetation. Für je vier Familien gibt es eine Küchenspüle, eine Toilette und einen Wasserhahn im Freien. Die Gemeinschaftstoiletten sind verdreckt und für die Frauen ist es sehr gefährlich, nachts auszutreten.

„Viele Leute haben die Arbeit verloren und hier gibt es nur wenige Jobs als Bauarbeiter. Ich muss jetzt über eine Stunde zur Schule fahren, was mehr als drei Dollar pro Tag kostet“, sagt die 16-jährige Nokumo, die mit ihrer Familie nach einem Brand in ihrem Selbstbauvier¬tel in Langa nach Blikkiesdorp kam. Über zweieinhalb Jahre leben sie schon im Notcontainer, obwohl ihnen doch ein neues Haus versprochen wurde. Auch Nokumo und ihre Familie sind nicht freiwillig hier. „Wie einen Hühnerhaufen haben sie uns hier abgesetzt. Wir hatten keine Wahl.“ Nicht nur die weiten Wege zu Arbeitstätten und Schulen sind eine Problem, auch ihre sozialen Hilfsnetze sind zerrissen, die für viele Aspekte des täglichen Lebens überlebenswich¬tig waren. Es gibt viel Gewalt, viel Unsicherheit, viel Angst und es kursieren Horrorgeschich¬ten von entführten und misshandelten Kindern.

Ein Teil der hier Eingewiesenen kommt aus einfachen Mietwohnungen oder Billigpensionen in der Innenstadt Kapstadts, die in backpacker-Hotels oder Unterkünfte für den erwarteten Touristenstrom umgewandelt wurden. Gebiete wie Woodstock oder Observatory im Innen-bereich Kapstadts sind zu Modequartieren geworden und selbst langjährige Mieter werden mit allen bekannten Tricks zum Auszug gedrängt, wenn sie keine höheren Mieten zahlen. Viele landen in Blikkiesdorp, zusammen mit den Opfern der Brandkatastrophen aus den informellen Siedlungen und anderen Opfern staatlicher Zwangsumsiedlung. Manche leben bereits fünf Jahre in der „Übergangsunterkunft“. Meistens kommen sie dann weit nach draußen in Neubaughettos, da stadtnahe Flächen für lukrativere Projekte reserviert sind.

Abahlali baseMjondolo

Die Bewegung der Hüttenbewohner (Abahlali baseMjondolo) kämpft gegen diese ständige und systematische Verdrängung der Armen an den Stadtrand und die Zwangsumsiedlung in solche Lager. Abahlali baseMjondolo entstand in einer Armensiedlung in Durban, hat sich inzwischen aber auf viele der großen Städte in Südafrika ausgebreitet und mit anderen Sozialbewegungen verbündet. „Wir merkten, dass unsere Probleme überall die gleichen sind: wir haben kein Wasser. Wir haben kein Land, um in Sicherheit unsere Häuser zu bauen. Wir werden nicht gehört und wir werden misshandelt, wenn wir uns wehren.. „ sagt S’bu Zikode, der gewählte Sprecher der Hüttenbewohner in der südafrikanischen Industriemetropole Durban. Abahlali baseMjondolo setzt sich ein für die Umsetzung der in der Verfassung garantierten Rechte, die durch die Regierungspraxis immer wieder verletzt werden.

„Die an der Macht sind blind für unser Leid“, schrieb S’bu Zikode in einem seither vielzitier¬ten Zeitungsartikel. „Ich fordere unsere politischen Führer dazu auf, mindestens eine Woche bei uns in den Hütten zu verbringen. Sie müssen den Schlamm spüren. Sie müssen 6 Toilet¬ten mit 6.000 Leuten teilen. … Sie müssen die Ratten verjagen und die Kinder davon abhal¬ten, die Kerzen umzustoßen. Sie müssen für die Kranken sorgen, wenn es riesige Schlangen vor dem Wasserhahn gibt. … Sie müssen zusehen, wenn wir unsere Kinder beerdigen, die in einem der Feuer umgekommen sind, die an Durchfall gestorben sind oder durch AIDS.“

Der Zusammenschluss der Hüttenbewohner hat bereits viel erreicht, jedoch auch den Hass von einflussreichen Politikern auf lokaler Ebene auf sich gezogen, deren Korruption sie anklagten und deren Landschiebereien sie vereiteln konnten. Sie schafften es, Zwangsum-siedlungen zu verhindern und direkt mit den Ministerien Verbesserungen für die informellen Siedlungen auszuhandeln. Ihr größter Erfolg war die Klage gegen das neue „Slumgesetz“ der Regierung, das in vielen Aspekten an alte Apartheidgesetze erinnerte, mit denen damals schon informelle Siedlungen kriminalisiert wurden. Im Oktober 2009 gab das Verfassungsge¬richt Südafrikas den Hüttenbewohnern von Abahlali Recht und verurteilte die Regierung dazu, den verfassungsfeindlichen „Slum Act“ zurückzuziehen. Dieser unglaubliche Erfolg war jedoch überschattet von einer Welle der Repression gegen die Sozialbewegung, die viele der lokalen Leitungspersonen von Abahlali dazu gezwungen hat, sich zu verstecken, um ihr Leben und das ihrer Familie zu schützen.

Ende September 2009 wurde die Siedlung Kennedy Road, eine der Hochburgen von Abahlali, von Schlägertrupps überfallen, die Slogans schrieen wie „dieses Land gehört den Zulu, hier ist kein Platz für Xhosa.“ Das Sozialzentrum, die Bibliothek und die Wohnhäuser von 30 bekannten Leitungspersonen von Abahlali wurden verwüstet. Die Bewohner verteidigten sich und zwei Menschen starben unter bisher unbekannten Umständen. Am nächsten Morgen kamen die Schläger mit Unterstützung der Polizei zurück. Viele mit Abahlali verbundenen Personen – auch S’bu Zikode – flohen angesichts der offen gegen sie ausgesprochenen Morddrohungen und der lokale ANC übernahm die Kontrolle der Siedlung. Die Polizei unter-nahm nichts gegen die Schlägertrupps und nahm stattdessen 13 bekannte Mitglieder von Abahlali unter Mordanklage fest. Viele Kirchenvertreter und Menschenrechtsgruppen solida-risierten sich sofort mit den verfolgten Hüttenbewohnern. Sie sprachen von einer Gefahr für die junge Demokratie Südafrikas, wenn der alles beherrschende ANC politische Gegner mit solchen Mittel auszuschalten versuche. Auch Amnesty International drückte seine Besorgnis aus und bekannte internationale Persönlichkeiten wie Noam Chomsky, Naomi Klein und Slavoj Zizek unterzeichneten eine Petition zugunsten der verfolgten Sozialbewegung Abahlali. Trotz des Drucks der Kirchen und von Amnesty gibt es bislang noch keine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. Bis heute konnte der Staatsanwalt keine Anklage gegen die 13 im September Verhafteten formulieren, 5 sind jedoch immer noch in Haft.

Alle Entscheidungen der Basisbewegung Abahalali sind Ergebnis langer demokratischer Dis-kussionen in allen Gremien der Organisation, von unten nach oben. In den Versammlungen Abahlalis hat jeder das Recht zu reden, niemand wird unterbrochen, alles wird von englisch auf Zulu und Xhosa übersetzt. Für den Politikwissenschaftler Richard Pithouse ist das faszi-nierend: „Abahlali arbeitet bewusst mit einer Verzögerung aller Prozesse durch Partizipation. Sie setzen auf eine ‚langsame Politik’, um jedem eine reale Beteiligung zu ermöglichen.“ Abahlali nennt dies ‚Living Democracy’.

Klaus Teschner
MISEREOR