Abahlali baseMjondolo – wie ein Kampf um Land und Wohnung zum Kampf für Demokratie wurde

Abahlali baseMjondolo – wie ein Kampf um Land und Wohnung zum Kampf für Demokratie wurde

Abahlali baseMjondolo (AbM), eine Sozialbewegung, die in Durban entstand, hat in den letzten fünf Jahren beachtliche Siege für die partizipative Demokratie in Südafrika erreicht. 2006 zwang die Bewegung, deren Name sich aus dem Zulu-Wort für Hüttenbewohner ableitet, ihre Stadtverwaltung, unter Berufung auf das südafrikanische Gesetz zur Förderung des Zugangs zu Informationen, zur Offenlegung ihrer Pläne zum Umgang mit informellen Siedlungen und ihres Wohnungshaushalts.

Im Februar 2009, nach schwierigen Verhandlungen mit eThekwini, der Großstadtverwaltung von Durban, erreichten sie Übereinstimmung darüber, dass die ‚Räumung‘ der ‚Slums‘, in denen die Mitglieder von AbM leben, dem Prinzip einer Bestandsverbesserung mit Bleiberecht folgen soll, nicht dem einer Umsiedlung an den Stadtrand, wie sonst in Südafrika üblich. Im Oktober 2009, bestätigte das südafrikanische Verfassungsgericht eine von AbM angestrengte Normenkontrollklage gegen den KwaZulu-Natal Slums Act, ein neues Provinzgesetz zum Umgang mit informellen Siedlungen. Das Gericht bestätigte, dass Teile des Gesetzes einer willkürlichen Vertreibung Tür und Tor öffnen und erklärte sie für verfassungswidrig.

Doch als der Urteilsspruch verkündet wurde, befand sich die Bewegung in einer traumatischen Situation. Am 26. September 2009 hatte ein bewaffneter Mob Abahlali baseMjondolo’s wichtigste Basis in der Kennedy-Road-Siedlung angegriffen. Im Anschluß wurden die Häuser von AbM-Unterstützern zerstört, 13 Mitglieder verhaftet und Todesdrohungen zwangen ihre gewählten Führer in den Untergrund. Zugleich erfuhr AbM viel Solidarität, vor allem von kirchlichen Gruppen. Amnesty International rügte in Briefen an die Provinzregierung „den offensichtlichen Unwillen der zuständigen Behörden diese Verbrechen zu untersuchen“ und öffentliche Kommentare von Mandatsträgern, die „dazu führen könnten, das eine ganze Organisation unangemessen kriminalisiert und ihre Mitglieder von Gewalt bedroht werden“ (AI Index: AFR 53/011/2009).
Wie kam es dazu, dass eine soziale Bewegung, die sich auf die Rechte und Freiheiten beruft, die von der südafrikanischen Verfassung garantiert werden, so viel Hass auf sich zog? Warum wird sie vom Staat nicht beschützt, der beauftragt ist, die gleichen Rechte zu verteidigen?

Aufgrund ihrer Wahlverweigerung stellen soziale Bewegungen, die von Armen getragen werden, wie Abahlali baseMjondolo, das Landless People’s Movement in Johannesburg und die Anti-Eviction Campaign in Cape Town, für die südafrikanische Regierungspartei ANC eine ernste Herausforderung dar. Seit sie den Slogan ‚No Land! No House! No Vote!‘ angenommen haben, wurden sie allen möglichen Arten staatlicher Repression unterworfen, von Demonstrationsverboten bis zu illegalen Verhaftungen und Polizeiübergriffen.

Abahlali baseMjondolo’s radikale Position entstand nicht von heute auf morgen. Jahrelang schickten die Bewohner von Kennedy Road Abordnungen zu Treffen mit der Regierung. Die Konfrontation begann im März 2005 als die Hüttenbewohner heraus fanden, dass Land, das ihnen vom Gemeinderat ihres Wahlkreises versprochen war, stattdessen an eine Backsteinfabrik verkauft wurde. Aus Protest errichteten sie Straßensperren und organisierten Massendemonstrationen, die bald die Unterstützung von Hüttenbewohnern aus anderen Teilen der Stadt fanden. Der ANC und Regierungsstellen reagierten zornig. Einige unterstellten Oppositionsparteien die Armen aufzuwiegeln; einige beschuldigten Akademiker von der University of Kwazulu-Natal; andere sprachen von einer ‚Dritten Kraft‘ und spielten damit auf die letzten Jahre der Apartheid an, als militante Gegner der Demokratisierung Südafrikas versucht hatten diese durch brutale Anschläge aufzuhalten.

Im November 2005 antwortete S’bu Zikode, der gewählte Vorsitzende von Abahlali baseMjondolo auf diese Unterstellungen: „Die Dritte Kraft ist all der Schmerz und das Leiden, dem die Armen in jeder Sekunde unseres Lebens unterworfen sind. … Die an der Macht sind blind für unser Leiden. … Ich appelliere, dass die Politiker …. wenigstens eine Woche in den jondolos (Hütten) leben. Sie müssen den Matsch spüren. Sie müssen sich sechs Toiletten mit sechs tausend Menschen teilen. Sie müssen ihre eigenen Abfälle entsorgen und gleichzeitig neben der Deponie wohnen. … Sie müssen die Ratten fortjagen und die Kinder davon abhalten die Kerzen umzuwerfen. Sie müssen sich um die Kranken kümmern, wenn am Wasserhahn eine lange Schlange steht. … Sie müssen dabei sein, wenn wir unsere Kinder beerdigen, die im Feuer starben, an Durchfall oder AIDS.“

Im Laufe der Jahre wurde die Bewegung von vielen Intellektuellen unterstützt. Es wäre aber ein Missverständnis zu glauben, dass sie die Bewegung geformt haben. Einer der ersten, welche die Kennedy Road besuchten, war der Politologe Richard Pithouse, bemüht die Gründe für den Protest der Bewohner zu verstehen. Seiner Ansicht nach ist „der Schlüsselfaktor (für den Erfolg der Bewegung), dass die Siedlung an der Kennedy Road eine ausgesprochen demokratische, politische Kultur und Organisation entwickelt hat, und das bereits Jahre bevor die Bewohner anfingen Straßen zu blockieren.“ Bis 2005 waren viele, die sich später AbM anschlossen, im ANC organisiert. Die ersten Proteste wollten keinen Bruch mit der Regierungspartei herbei führen. Pithouse ist sich sicher: „Die radikale Opposition wurde den Aktivisten aufgezwungen, da die Partei mit Polizeigewalt reagierte statt sich mit ihren Forderungen auseinander zu setzen.“

Beeindruckt von der Integrität von S’bu Zikode und anderer Hüttenbewohner und von den Ideen, die sie formulierten, verschafften ihnen Leute wie Pithouse Kontakt zu Menschenrechtsanwälten, die Bewohner verteidigten, die bei Protesten verhaftet wurden; und zum Freedom of Expression Institute, einer südafrikanischen NGO zur Verteidigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, die halfen ihr Demonstrationsrecht zu behaupten.

Die Hauptforderung der Bewegung war von jeher Land und Wohnraum nahe bei Arbeitsmöglichkeiten, Schulen und Gesundheitsversorgung. Unterstützt von der NGO Open Democracy Advice Centre (ODAC) nutzte AbM das Gesetz um Einsicht in die offiziellen Pläne für ihr Gebiet zu erlangen. Die Pläne bestätigten, dass die Stadtverwaltung beabsichtigte die Hütten abzureißen und die Bewohner an die Peripherie der Stadt umzusiedeln. Die drohende Vertreibung führte dazu, dass noch mehr Menschen die Bewegung unterstützten.

Da der Gemeinderat ihres Wahlkreises sich nicht von den Rücktrittsforderungen der Hüttenbewohner beeindrucken ließ, begannen diese sich de facto selbst zu verwalten und erlangten schrittweise Anerkennung von Regierungsstellen. Das von AbM getragene ‘Kennedy Road Entwicklungs-Kommittee“ erstellte Wohnortsnachweise, die für den Zugang zu Sozialleistungen wie Kindergeld gebraucht werden. AbM verhandelte direkt mit Regierungsvertretern über den Bau öffentlicher Toiletten, Polizeieinsätze und Katastrophenhilfe nach Häuserbränden. Möglich wurde dies erst durch den Druck massenhafter Bewohneraktivierung und geschickte Medienarbeit.

Trotz wiederholter Verhaftungen und Polizeigewalt, Räumungen und Brandkatastrophen in verschiedenen Hüttensiedlungen blieb die Bewegung in Schwung. 2006 und 2007 organisierte AbM Märsche gegen die Großstadtverwaltung eThekwini, die Wohnprojekten für die Mittelklasse, Büro- und Vergnügungsparks scheinbar Priorität gegenüber einer Lösung des Wohnungsproblems einräumt. Angesichts der Entschlossenheit der Hüttenbewohner und wachsender Verlegenheit über die von Bränden verursachten Todesfälle begann die Stadtverwaltung zu verhandeln.

Project Preparation Trust (PPT), ein Beratungsunternehmen, das darauf spezialisiert ist, öffentliche Wohnungsprojekte der Regierung vorzubereiten, wurde beauftragt einen Konsens zu finden. AbM nutzte diese Gelegenheit ohne basisdemokratische Prinzipien aufzugeben. Eine Aufforderung von PPT zwei Verhandlungsführer zu benennen wurde abgelehnt. Abahlali bestand darauf, dass jede der betroffenen 14 Siedlungen zwei VertreterInnen entsenden kann. Diese Delegierten hatten kein Mandat bei den Verhandlungen selbst Entscheidungen zu treffen. Jeder Vorschlag musste an die jeweilige Siedlung zurückgemeldet und dort diskutiert werden. Zur Vertiefung der Demokratie und um das gemeinschaftliche Wissen über den Prozess zu verbreitern wurden gezielt ‘weniger prominente’ Bewohner delegiert. Politikwissenschaftler Pithouse ist von diesem Ansatz fasziniert: „AbM arbeitet absichtlich mit einer Verzögerung durch Beteiligung. Sie benutzen Formen ‘langsamer Politik’ um sicher zu gehen, dass alle Mitglieder der Gemeinschaft an den Entscheidungen teilhaben.“

Im Februar 2009 wurde ein entscheidender Durchbruch erzielt. AbM und die Stadtverwaltung erzielten ein Einverständnis bezüglich der Vorgehensweise zur Bestandsverbesserung mit Bleiberecht und zur Bereitstellung alternativen Wohnraums für Bewohner, die innerhalb der Siedlung keinen Platz finden würden.
Die Verhandlungen mit der Stadtverwaltung hielten die Bewegung freilich nicht davon ab, gegen eine neue Gesetzgebung mobil zu machen, welche die Rechtssicherheit von Hüttenbewohnern allgemein untergrub. Der Gesetzesentwurf der Provinz KwaZulu-Natal zur ‘Eliminierung von Slums und Verhinderung von deren Neu-Entstehung’ von 2007 gab dem Wohnungsminister die Befugnis Gemeindeverwaltungen und Privateigentümer zur Einleitung von Räumungen zu zwingen. AbM nahm zwar an öffentlichen Anhörungen zum Gesetzesentwurf teil; ihre Einwände wurden aber nicht berücksichtigt (ebenso wenig wie die vieler anderer). Als das Gesetz rechtsgültig wurde, reichte AbM daher eine Normenkontrollklage ein.

Im Oktober 2009 entschied das südafrikanische Verfassungsgericht zugunsten der Kläger und ordnete an, dass alle Gerichtskosten von der Provinz KwaZulu-Natal zu tragen seien. Das Urteil unterstreicht, dass „Räumung nur nach angemessenem Dialog stattfinden kann. … Ein angemessener Dialog beinhaltet die begründete Abwägung der Wünsche der Menschen, die geräumt werden sollen; der Möglichkeit ihres Verbleibs und der baulichen Verbesserung der Gebiete, die sie bewohnen; und des Vorhandenseins alternativer Unterbringungsmöglichkeiten“.

Der AbM-Vorsitzende S’bu Zikode, noch versteckt gehalten nach den Angriffen auf die Siedlung in der Kennedy Road, hatte allen Grund auf diesen Ausgang stolz zu sein: „Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen für die Armen in diesem Land und hat Abahlali baseMjondolo’s Rolle als Hüter der Verfassung und Vorkämpfer für die Rechte der einfachen Menschen in Südafrika bestätigt.“ Zikode äußerte auch die Hoffnung, das Urteil werde „ein Ende der zwangsweisen Umsiedlungen in Durchgangslager und ‘Zwischen-Umsiedlungsgebiete’ herbeiführen“.

Was wird aber aus der Vereinbarung mit der Stadtverwaltung von eThekwini, nun da die Häuser von mindestens 30 Aktivisten zerstört und Dutzende, manche sagen Hunderte von Familien aus ihren Häusern vertrieben wurden. Nach Angaben von Pithouse „operiert die Bewegung nun in einigen Gebieten im Untergrund und kämpft, angesichts des enormen Drucks, der auf sie ausgeübt wird, darum ihre Praxis offener und regelmäßiger Versammlungen aufrecht zu erhalten“.

In einer Podiumsdiskussion zu Menschenrechtsarbeit und Anwaltschaft an der Rechtsfakultät der Wits University in Johannesburg am 02.10. 2009 wies der Gastforscher und Rechtsanwalt Stuart Wilson auf die politische Bedeutung der Verfolgung der Aktivisten hin: „Wir haben eine Verfassung, die zumindest formell die Teilhabe aller an der politischen Gemeinschaft garantiert. Aber die Demokratie muss auch die Räume zwischen den Wahlen füllen. Die Freiheiten, die von der Verfassung garantiert werden, müssen ausgeübt werden – und ihre Ausübung muss der Bürgerschaft gestattet sein. Der Angriff auf Abahlali ist ein Versuch dieser vitalen Praxis der Demokratie den Garaus zu machen.“

Gerhard Kienast

(deutsche Übersetzung einer Veröffentlichung des DED Südafrika:
At the Coalface. Stories of public participation. Pretoria: Deutscher Entwicklungsdienst, 2010. p.9-11
http://german-development-cooperation.org/files/coalface.pdf )